12 Tage nach dem 9. Vollmond 77 n.d.g.B.

Nachdem die große Schlacht vorbei war und alle Untoten gebannt wurden, schien der Morgen im Holzfällerlager wieder so ruhig zu sein, wie gewohnt. Einzig das hölzerne Klappern von Zeltholmen war zu hören, da die ersten Reisenden bereits ihre Lager abbrachen und ihr Hab und Gut zusammen packten. Ezra saß zusammen mit Tannrim und einer Elfenfamilie an einem der Frühstückstische im Tavernenzelt und genoss den ruhigen Tagesbeginn.
Doch ruhig sollte es auch an diesem Morgen nicht bleiben. Eine Delegation von Adeligen war soeben eingetroffen und nun sollte die provisorische Taverne geräumt werden. Ach, damit die reiche Dame nicht im Regen stehen muss, werden wir armes Volk in eben diesen geschubst. Prima., ärgerte Ezra sich, während sie hastig ihr restliches Frühstück verschlang. Die Dorfwache hatte schon Stellung am Eingang des Tavernenzelts bezogen und lies niemanden mehr hinein. Nur noch raus durfte man.
Auf die Frage des Elfenmädchens, wer denn diese weiße Frau sei, antwortete ihre Mutter ihr, dass es sich um die Frau My’An Mitras, aus dem Handelshause Mitras handelte. Sie war eine recht kleine Frau, mit einem gequälten Blick und hatte dunkle Augenringe, welche sich durch ihre bleiche Haut nur noch deutlicher abzeichneten. Über ihrer schwarzen Kleidung trug sie einen hellgrauen Umhang mit einer tief im Gesicht sitzenden Kapuze. „Eine Adelige aus gutem Hause, das erklärt auch, warum sie die ganze Zeit ihre Kapuze aufbehält.“, flüsterte Ezra Tannrim sarkastisch zu, „Schließlich könnte das bisschen Sonne, was hier oben scheint, noch ihre Haut bräunen!“ Tannrim musste grinsen.
„Nun verschwindet endlich, Frau Mitras wartet nur sehr ungern.“, wurden sie von ihrer Dorfwache weggescheucht. Eilig packten sie ihre Schüsseln zusammen und verschwanden aus dem Zelt.
Während sie es sich am Feuer bequem gemacht hatten, erfuhren sie, dass die Adelige hier war, damit durch einen Priester des Akatash ein Exorzismus an ihr durchgeführt werden konnte. Von welcher Sünde sie wohl befreit werden will?, fragte sich Ezra. Sie schaute den Vorbereitungen noch ein wenig zu, bis der Priester alle Anwesenden zu einer Andacht in das Tavernenzelt zusammen rief. Drinnen hatten sie alle Tische entfernt und die Bänke in Sitzreihen aufgebaut. Sie hatten eine Kirche improvisiert.
Ach, eine Andacht wird schon nicht schaden., dachte Ezra und nahm auf einer der Sitzbänke platz. Neben sie setzte sich einer der Küchengehilfen und nickte ihr freundlich zur Begrüßung zu. Sie lächelte ihn an und wollte ihm gerade einen guten Morgen wünschen, als der Priester sich mit einem Räuspern zu Wort meldete.
„Werte Bürger dieses … Lagers!“, sprach er mit würdevoller Stimme, „Wir haben uns hier versammelt, um die ehrenwerte Frau Mitras von ihrer schweren Bürde zu befreien. Doch zunächst, lasst uns eine Andacht zu Ehren von Akatash, dem Feuer, abhalten.“ Er hob seine Hände über den Kopf, schloss seine Augen und senkte dann den Kopf auf die Brust ab. Die versammelte Gemeinde tat es ihm gleich.
Absolute Stille herrschte im improvisierten Kirchenzelt. Der Priester stand hinter seinem Altar und murmelte unverständliche Worte. Ezra lugte heimlich zu ihrem Nachbarn hinüber, um zu schauen, was er tat. Das war ihre erste Andacht, daher wusste sie nicht, was man als Betender zu tun hatte. Bisher hatte sie lediglich Mammon oder Belan bei Bedarf ein paar Opfer in Form von Hirsebrei oder frischem Obst auf der Lichtung oben im Wald dargebracht. Da alle Anwesenden mit geschlossenen Augen den Worten des Priesters zu lauschen schienen, schloss sie ihre Augen eilig wieder und wartete, bis der Geistliche fertig genuschelt hatte.
„Nun seid bereit, für die Reinigung der Frau Mitras.“, klang die erhabene Stimme des Priesters wieder lauter. „Ich muss Euch warnen. Wir werden Dash, die reinigende Flamme, um Hilfe ersuchen. Es wird ein anstengender Prozess werden, in dem ich als Medium Dashs agiere und Kraft von Euch brauche. Alle, die bereit sind für Frau Mitras zu beten und ihr Kraft zu geben, mögen hier in diesen Reihen sitzen bleiben. Wer jedoch keine Schmerzen will, der soll nun gehen. Ich verurteile niemanden, wenn er dieses Opfer nicht bringen will.“
Ezra überlegte, Hat er grad Schmerzen gesagt? Wieso denn Schmerzen? Ich kenne diese Frau ja gar nicht, warum sollte ich dann Schmerzen für sie erleiden!? Während sie so grübelte, ob sie sich das wirklich antun wollte, sah sie die Frau genauer an. Sie sah nicht nur ungesund aus, mit ihrer blassen, fast durchscheinenden Haut, nein. Sie sah auch insgesamt sehr elendig aus. Zwar trug sie schöne und edle Kleider, aber an ihrer Haltung und ihrem Gesichtsausdruck sah Ezra, dass sie leidete. Was auch immer sie hatte, sie wollte davon befreit werden. Sie muss wirklich auf die Hilfe Anderer angewiesen sein, wenn es etwas ist, dass sie sich nicht von ihrem vielen Geld kaufen kann., überlegte Ezra weiter.
Inzwischen hatten sich die Bankreihen recht deutlich geleert. „Oh man, fast keiner will ihr helfen.“, stellte der Küchenjunge neben Ezra leise fest, „Aber Du bleibst mit hier, oder?“, fragte er sie nun direkt. „Das ist so eine nette Frau!“, sprach er weiter, „Sie hat uns viel Trinkgeld in der Taverne gegeben, völlig anders als diese ganzen knausrigen, tollen Helden.“ Er sah sich um und fand die Helden draußen am Feuer sitzen. Nur wenige von ihnen waren hier geblieben. Insgesamt waren sie vielleicht noch zu Zwölft. Wahrscheinlich nur enge Freunde der Frau Mitras. „Na, wenn sie unserem Dorf Reichtum beschert, dann kann man ihr auch helfen.“, zwinkerte Ezra dem Küchengehilfen zu. Dieser freute sich sichtlich, nicht allein zurückbleiben zu müssen und so wandten sie sich beide wieder dem Geschehen am Altar zu.
Es stellte sich heraus, dass My’An Mitras eine Vampirin war. Allerdings verachtete sie ihre Lebensweise und das Bewusstsein, dass andere Menschen leiden mussten, damit sie leben konnte, quälte sie sichtlich. Ihre engsten Vertrauten und Freunde sprachen sich für sie aus und als alle bezeugt hatten, dass sie es wirklich wert war, geheilt zu werden, begann der Priester mit dem Exorzismus.
Anfangs saßen sie alle nur mit erhobenen Händen und geschlossenen Augen da und beteten immer wieder den selben Vers: „Dash, reinigende Flamme, steh uns bei!“ Doch als der Priester begann seine Kraft auf die Vampirfrau zu fokussieren, bemerkte Ezra ein Brennen in ihrer Brust. Es war heiß, viel zu heiß und ihr blieb fast die Luft weg. Auch den anderen Betenden erging es nicht besser. Sie keuchten zwischen den Versen und Ezra bekam verschwommen mit, dass einer aus der vordersten Bankreihe sogar das Bewusstsein verlor und von der Bank kippte. Als das Brennen immer schmerzhafter wurde, vernahm sie jedoch nichts mehr um sich herum. Der Priester hatte gesagt, dass es so sein würde. Anstrengend und schmerzhaft, aber er hatte auch gesagt, dass sie standhaft bleiben mussten, damit der Exorzismus gelingen kann. Wie im Rausch murmelte Ezra den Vers wieder und wieder. Sie klammerte sich förmlich an die Worte und es half ihr, den Schmerz einigermaßen zu ignorieren.
Als es so schlimm wurde, dass sie sich fühlte, als würde sie innerlich verbrennen, vernahm sie einen Schmerzensschrei vor sich. Erschrocken sah sie auf und sah, dass der Priester hinter dem Altar zusammengebrochen war. Frau Mitras stützte sich keuchend auf dem Tisch ab und schien sich nur schwer auf den Beinen halten zu können. Was die beiden erst für Schmerzen haben müssen, wenn wir uns schon so fühlen., stellte Ezra anerkennend fest.
Ein schwaches Lächeln zeichnete sich auf dem Gesicht der kleinen Frau ab und mit flüsternder Stimme dankte sie den Anwesenden: „Ich bin geheilt! Ich danke Euch! Oh ich danke Euch so vielmals!“ Vor Erschöpfung brach ihre Stimme. Ein rosiger Hauch hatte sich auf ihre Wangen gelegt und sie sah so überglücklich aus, dass Ezra ihre Schmerzen von eben schon völlig vergas.
Der Priester hatte sich zwischenzeitlich erholt und wurde, wie auch Frau Mitras, von einigen Heilern betreut. Ezra rappelte sich auf und sah zu ihrem Sitznachbarn. „Na? Alles klar?“, fragte sie den Küchengehilfen. Dieser grinste sie an und antwortete: „Nach so einer guten Tat, kann’s einem doch nur gut gehen, oder?“ – „Recht hast Du.“, nickte Ezra lachend. Da das innere, brennende Feuer sie nun verlassen hatte, blieben sie fröstelnd zurück. Also beschlossen sie, sich ein wenig am Lagerfeuer aufzuwärmen, warfen sich ihre Umhänge über und machten sich in Richtung Ausgang des Kirchenzeltes.
Oh, welch erfreuliche Seltenheit!, dachte Ezra, als sie aus dem Zelt trat und vom Sonnenlicht geblendet wurde. Noch einmal schloss sie die Augen, aber jetzt genoss sie die angenehme Wärme auf ihrem Gesicht.