10. Neumond des Jahres 77 n.d.g.B.

sw - Spinnennetz

Vier Tage war die Schlacht nun schon her. Es war ruhig geworden im Wald um das mobenfurter Holzfällerlager. Man konnte den Wald wieder betreten, ohne Gefahr zu laufen, einem Untoten zu begegnen. Ezra war nun schon eine Weile unterwegs und ihr Bündel an trockenen Zweigen sollte für die nächsten zwei Tage für sie beide reichen. Sollte Tannrim doch noch einmal losgehen, wenn er der Meinung wäre, es würde zu wenig sein. Also machte sie sich auf, zurück in Richtung des Lagers zu gehen, als sie zwischen einem Haufen von Ästen etwas glitzern sah. Rasch legte sie die Zweige und ihre schwere Axt ab, kniete sich auf den von Blättern bedeckten Boden und räumte die Äste beiseite.
Das glänzende Ding war ein kleines Amulett! Es war oval und hatte die Farbe von Bernstein. Und es war etwas darin eingeschlossen. Eine Spinne! Mit einem kurzen Kreischen lies sie das Amulett fallen. Bah! Wer will denn sowas als Schmuckstück tragen!? Die Spinne darin war wirklich echt! Mit acht langen, dünnen Beinen, einem gepanzerten Rücken und vielen Zacken auf dem ganzen Leib. Aber vielleicht konnte sie es im Lager gegen irgendetwas Sinnvolles tauschen. So hob sie das Ding mit spitzen Fingern wieder auf und sah sich um. Wer es hier wohl verloren hatte? Vielleicht einer der Abenteurer, die in der großen Schlacht gekämpft hatten?

Plötzlich hörte sie ein Knacken rechts von sich. Erschrocken fuhr sie herum und blickte in eine Vielzahl von Augen. Acht Augen. Acht Spinnenaugen! Und was für eine Spinne! Eine der typischen karyschen Riesenspinnen kam langsam auf sie zugekrabbelt. Mannsgroß, mit acht schwarzen, behaarten Beinen, den vielen, riesigen Augen und einem Kiefer so groß wie Ezra’s Unterarme lang waren. Diese Viehcher waren schon vor den Untoten hier gewesen, doch durch eben jene Untote hatten die Holzfäller die Spinnen völlig vergessen. Dies rächte sich nun. Anscheinend waren die Spinnen wiedergekommen.
Das leise Knacken der Äste, welche unter dem Gewicht der Spinne nachgaben, war das einzige Geräusch, welches Ezra noch hörte. Außer natürlich ihrem eigenen Herzschlag, welcher in ihren Ohren hämmerte. Etwa sieben Schritt vor ihr blieb das riesige Vieh stehen und starrte sie an. Panik kroch in ihr hoch. Wo hatte sie die Axt hingelegt? Aus den Augenwinkeln sah sie die Waffe vier Schritt von sich entfernt im nassen Laub. Vorsichtig machte sie einen Schritt auf die Axt zu, immer die Spinne im Blick. Und noch einen Schritt. Gleich hätte sie wenigstens die Axt. Sie würde ihr nicht viel helfen, aber wenigstens hätte sie etwas, an dem sie sich festklammern könnte. Die Spinne starrte sie weiterhin an. Kurz fragte sie sich, ob sie dort ewig stehen bleiben würde. Da setzte sich das Monstrum wieder in Bewegung und kam auf sie zu.

Voller Entsetzen machte Ezra einen Schritt nach hinten, rutschte auf dem feuchten Laub aus und landete auf dem nassen Waldboden. Nein, nein, nein! Oh verdammt! Panisch versuchte sie weiter nach hinten zu krabbeln. Doch die Spinne kam natürlich wesentlich schneller näher, als Ezra krabbeln konnte. Bleib bloß weg von mir! dachte sie, während sie mit vor Angst weit aufgerissenen Augen die Spinne fixierte. Und die Spinne blieb stehen. Drei Schritt vor ihr blieb dieses Riesenvieh stehen und starrte wieder. Eine Weile lang starrten sie sich so gegenseitig an. Ezra auf dem Hintern sitzend und gelähmt vor Angst auf der einen Seite, die Spinne ganz ruhig und gewaltig auf der anderen Seite. Was mach ich denn jetzt? Oh bei Belan, hilf mir doch jemand!, dachte Ezra verzweifelt. Kann das Vieh sich nicht einfach umdrehen und verschwinden?, hoffte sie inständig.
Da drehte sich die Spinne um und bewegte sich langsam in Richtung Unterholz. Verblüfft sah Ezra ihr nach. Bei allen Göttern, was geschieht hier? Hört dieses Riesenvieh etwa auf mich? Schwankend stand sie auf und versuchte zu sprechen. Ein zittriges „Halt!“, kam über ihre Lippen und die Spinne stoppte wirklich. Langsam drehte sie sich wieder zu Ezra um und starrte sie erneut an. Das kann doch nicht wahr sein! Sie hört wirklich! „Dreh Dich einmal im Kreis!“, befahl sie der Spinne und diese gehorchte. Verblüfft sah Ezra ihr zu. „Und noch einmal in die andere Richtung drehen!“ Auch hier gehorchte die Spinne. Ein überraschtes Glucksen entfuhr Ezra und dann begriff sie. Sie hob ihre Hand, die sie vor Furcht zur Faust geballt hatte, dass sich ihre Fingernägel in die Haut gekrallt hatten. Langsam öffnete sie ihre steifen Finger und blickte hinab auf das Amulett mit der Spinne darin in ihrer Handfläche.