12 Tage nach dem 1. Vollmond 78 n.d.g.B.

sw - Abschied

Der Morgen brach an und Ezra hörte schon die ersten Menschen draußen vor dem Gasthaus. Schwaches Licht schien durch das kleine Fenster im Dach ihres Zimmers und verriet ihr, dass es wohl kein sonniger Tag werden würde. Tannrim schlief neben ihr noch tief und fest. Schläft wie immer wie ein Stein, während ein Zimmer weiter Bäume durch Schnarchen zersägt werden. Bei Belan, wie kann man nur so tief schlafen?, dachte sie sich, während sie sich streckte und laut gähnte. Sie verschränkte die Arme hinter dem Kopf, starrte die Decke an und erinnerte sich an die Hochzeit mit diesem Mann. Über ein Jahr waren sie nun schon verheiratet. In Mobenfurt war es Tradition, dass eine Frau bis zu ihrem 25. Lebensjahr verheiratet sein musste. Da Ezra bis dahin keinen Mann gefunden hatte der ihr gefiel, richteten ihre Eltern 10 Tage vor ihrem 25. Geburtstag die Hochzeit mit Tannrim aus. Natürlich hätte sie es auch schlechter treffen können, aber einen Mann zu heiraten, mit dem man so gar nichts anfangen kann? Wenigstens konnte er Flöte spielen und war damit für ihre Spinnenfänger-Idee gut. Aber sonst verband die beiden nichts. Insgeheim hoffe Ezra ja darauf, dass sie eines Tages doch noch den richtigen Mann für sich finden würde. Einen, dem etwas an ihr lag und der ihr ein reicheres Leben bescheren würde. Mit einem leisen Grunzen drehte sich Tannrim neben ihr auf die Seite. Verschlafen blinzelte er sie an. „Morgen.“, murmelte er zur Begrüßung. „Morgen“, erwiderte Ezra seufzend und stand auf, um sich fertig zu machen. Dem Klang aus dem Schankraum unter ihnen nach, musste es bald Frühstück geben.

 

Nach dem Frühstück warf Ezra sich ihren Umhang über, um ein wenig frische Luft zu schnappen. Kaum öffnete sie die Tavernentür nach Draußen ein Stück, kam ihr ein Johlen und Rufen entgegen, dass sie erschrak. Was ist denn hier los?, fragte sie sich und schaute vorsichtig um die Ecke der Türe. Dort prügelten sich zwei Männer. Aber da die anderen grinsend und sie beide anfeuernd daneben standen, musste es wohl ein freundschaftlicher Kampf sein. Sie trat aus der Tür heraus und sah sich die beiden genauer an.
Es waren Åsländer, Seefahrer aus dem Norden. Der eine schien nur aus orangefarbenem Fell zu bestehen. Das Tier, welches ihm dieses Fell beschert hatte, musste wirklich groß gewesen sein. Ezra überlegte, ob der Mann es wohl allein erlegt hatte. Seine langen Haare waren ebenso orangefarben wie sein Fellüberwurf und lagen durch den Kampf wild im Fell auf seinen Schultern. Mit einem kampflustigen Grinsen ging er gerade wieder mit erhobenen Fäusten auf seinen Gegner los.
Der Gegner selbst war ein halber Riese! Noch einen Kopf größer als der orangefarbene Kämpfer und auch ein wenig breiter. Wobei bei dem ganzen Fell der Beiden nicht klar war, wie breit sie wirklich sind. Vielleicht sind unter dem Fell ja auch nur Hänflinge, die keiner Fliege etwas zu leide tun können!?, bei dem Gedanken daran musste Ezra kichern. Der Große stürzte sich nun mit vollem Elan auf den Kleineren. Er trug weniger Fell als der Orangefarbene. Dafür aber eine Art Schürze mit rot-kariertem Muster und zu Ezra’s Erstaunen hatte er Hörner auf dem Kopf. Wie bei einem Steinbock, aber wesentlich kleiner und hellblau.
Jetzt, wo sie die Hörner sah, erinnerte sie sich an die Beiden. Sie waren damals bei dem Kampf in Mobenfurt ebenfalls dabei. Sie saßen meistens am Feuer und sprachen in ihrer Sprache untereinander. Ezra hatte sie gemieden, da ihr lautes Gelächter ihr Kopfschmerzen verursacht hatte. Damals stand sie ja noch unter den Nachwirkungen des Krauts, erinnerte sie sich. Der Orangefarbene wurde in Mobenfurt von allen nur Captain genannt. An die Namen der anderen konnte sie sich jedoch nicht mehr erinnern. Die beiden Männer waren indes mit ihrem Ringkampf fertig und klopften sich lachend gegenseitig auf die Schulter. Es musste wohl ein guter Kampf gewesen sein.

In diesem Moment kam Tannrim aus der Taverne und stellte sich neben sie. „Na, mit denen möchte ich mich nicht anlegen.“, sprach er zu ihr. „Musst Du ja auch nicht, solange sie Eddna nichts tun.“, antwortete Ezra ihm grinsend. Entsetzt blickte er sie an, doch ehe er antworten konnte, lief sie schon los in Richtung Wald. „Komm, wir schauen uns mal in der Gegend um, ob wir irgendwo noch ein bisschen Geld verdienen können.“, rief sie ihm über die Schulter zu. Tannrim sah noch einmal zu den Åsländern hinüber, schüttelte seinen Unbehagen ab und folgte ihr mit sichtbar beunruhigtem Blick.

 

Als die Beiden am späten Nachmittag wieder im Tänzelnden Zwergen saßen, setzte sich der große Mann mit den gelockten Haaren – Ezra wusste immer noch nicht wie er hieß – freudestrahlend neben sie. „Und? Gebt Ihr heut Abend wieder eine Vorführung mit der Spinne?“, fragte er begeistert. „Ja, ich denke doch.“, antwortete sie ihm, „Ich hoffe nur, dass diesmal ein wenig mehr dabei herausspringt als gestern.“„Ich hoffe es für Euch.“, sprach ihr der Mann Mut zu.
„Wie ich hörte besitzt Ihr eine Riesenspinne, welche ungewöhnlich für diesen Teil des Landes ist?“ Ezra blickt auf und sah einen dunkelhäutigen Mann neben sich stehen, welcher sie interessiert musterte. Er trug eine lilafarbene Kappe mit goldenen Ornamenten darauf und auch seine restliche Kleidung war in den Farben Schwarz und Lila gehalten. Ein auffälliger Ohrring zierte sein linkes Ohr und er trug einen großen Magierstab mit sich. Er war eindeutig ein Mitglied der Magiergilde Simpelus Hand. „Ähm, na ja, was heißt ungewöhnlich?“, fragte sie ihn verdutzt. „Mir wurde erzählt, sie besäße drei Hörner auf dem Kopf und“, er stockte kurz, „sie würde tanzen.“, endete er mit einem leicht skeptischen Unterton. „Stimmt beides.“, antwortete Ezra ihm stolz. „Wo habt Ihr diese Spinne den jetzt gerade? Ich würde sie zu gern einmal untersuchen.“, fragte er weiter. Ezra wurde misstrauisch: „Sie schläft derzeit, tief drinnen im Wald. Ihr werdet sie nicht finden, wenn mein Mann sie nicht ruft.“„Oh, versteht mich nicht falsch, ich will Eurer Spinne nichts Böses tun. Ich möchte lediglich ein wenig ihres Giftes haben, um es zu untersuchen!“, wandte der Magier sofort beschwichtigend ein, als er Ezra’s Misstrauen hörte. „Nun.“, sie blickte ihn herausfordernd an, „Gegen entsprechende Bezahlung würden wir Euch an Eddna heranlassen. Aber wehe ich merke, dass Ihr ihr auch nur ein Haar krümmt!“ Der Magier lächelte: „Seid unbesorgt, gute Frau, Eurer Spinne wird nichts geschehen. Wann kann ich sie denn sehen?“„Zur Abendstunde, wenn am meisten los ist in der Taverne, werden wir sie wohl wieder herholen.“, antwortete Ezra ihm zufrieden. Der Magier nickte, deutete eine Verbeugung an und verließ mit seinen Schülern die Taverne.

„Euer Name ist Ezra, nicht? Wollen wir ein Kartenspiel spielen?“, der Mann mit südländischem Akzent hatte scheinbar bei der Würfelrunde am vorigen Abend ihren Namen aufgeschnappt. „Gern, aber erwartet nicht zu viel von mir.“, antwortete sie ihm, „Kartenspiele sind mir meistens zu verwirrend.“„Ach was, das versteht Ihr schon, es nennt sich Skat.“ erklärte der Südländer und stürzte sich sogleich darauf, ihr die Regeln zu erläutern. Es war kompliziert, aber nach und nach verstand Ezra, warum man reizen sollte und welche Reihenfolge die Karten in ihrer Hand hatten.

Das Spiel wurde jäh unterbrochen, als ihr dritter Mitspieler der Kartenrunde, der Totengräber der Gegend, mit den Worten: „Ihr habt da ein Papier.“ aus dem Spielgeschehen gerissen wurde. „Das Papier hier?“, der Totengräber zog einen gefalteten Bogen Papier aus der Krempe seines Huts und schaute ihn sich an. „Ja, das ist meins.“, er schaute den Mann auffordernd an. „Ich will es haben.“, antwortete der Andere ihm mit einem Griff nach dem Papier. Schnell hielt der Totengräber den Bogen Papier in die andere Richtung, um es vor dem Mann zu schützen. Da griff von hinten plötzlich ein zweiter Mann nach dem Papierbogen und verschwand damit eiligst aus der Taverne. „Hey!? Haltet den Dieb!“, rief der Totengräber voller Entsetzten. Doch der Mann war bereits verschwunden. Wütend schaute der Totengräber sich um: „Ach verdammt! Hat wenigstens jemand sein Gesicht gesehen?“
Ezra hatte es beobachtet: „Ja, ich hab ihn gesehen.“ Der Totengräber sah sie ernst an. „Er war groß, hatte schwarze Haare und trug einen Zopf. Und so bunte gestrickte Stulpen an den Händen.“, gab sie ihre Erinnerung wieder. „Würdet Ihr mir bezeugen, dass Ihr ihn erkannt habt?“, fragte er sie. „Ja, sicher.“, antwortete sie ihm verdutzt. Der Totengräber verschwand und sie widmete sich erst einmal wieder dem Südländer. Dieser erklärte mit Feuereifer sogleich das Skatspiel weiter und Ezra versuchte ihm aufmerksam zu folgen.

Doch da wurden sie wiederum unterbrochen. Wahrscheinlich werde ich dieses Spiel nie lernen!, seufzte Ezra innerlich auf. „Verzeiht, doch wir haben den Dieb, es war einer der Åsländer. Würdet Ihr es nun bitte bezeugen?“, fragte sie der aufgeregte Totengräber. „Ein Åsländer?“, fragte sie entsetzt, „Und wer beschützt mich vor denen, wenn ich einen von ihnen anklage? Die schlagen mir doch sofort den Schädel ein!“„Wie wäre es mit einem Kupfer für Eure Mühen?“ fragte der Totengräber sie. „Dann gebt es mir aber lieber gleich, wenn sie mich erschlagen haben, hab ich ja auch nichts mehr davon.“, erwiderte sie. Der Totengräber kramte mürrisch eine Kupfermünze aus der Tasche und drückte sie Ezra in die Hand. „Jetzt aber los!“, er ging voraus und hielt ihr die Tür als Aufforderung auf.
Mit einem mulmigen Gefühl trat sie aus der Taverne und ging vorsichtig in Richtung des Lagerfeuers. Der Totengräber stellte sich ins Licht und sprach zu der Gruppe der Åsländer: „Einer von Euch hat mir etwas gestohlen. Ich will, dass er es mir zurück gibt!“ Während die Åsländer in ihrer Sprache diskutierten, sah Ezra sich die Leute am Lagerfeuer an. Dann erkannte sie den Dieb wieder. Allerdings war etwas anders an ihm. Sie war sich aber recht sicher und zeigte dem Totengräber, welcher von den Männern am Feuer es gewesen war. „Wer von uns soll Dir etwas gestohlen haben?“, fragte der Große mit den Hörnern den Totengräber mit grollender Stimme. „Der dort in der Mitte.“, der Totengräber zeigte auf den Mann, den Ezra wiedererkannt hatte. „Kaspar, ist das wahr? Hast Du etwas gestohlen?“, wurde dieser nun vom Großen gefragt. „Nein, natürlich nicht.“, antwortete Kaspar und sah den Totengräber an, als wolle er ihn umbringen. Ezra versteckte sich vorsichtshalber hinter ihm, um unerkannt zu bleiben. „Wenn er sagt, er hat nichts gestohlen, dann hat er auch nichts gestohlen.“, übersetzte jemand das Åsländische des Captains. Dieser hatte in einem sehr endgültigem Ton gesprochen. Ohne Zweifel, er glaubte seinem Mann.
Doch der Totengräber gab nicht auf. „Würde es Euch denn dann stören, wenn wir Eure Taschen durchsuchen?“ fragte er Kaspar. „Bitte.“, antwortete dieser mit eisiger Miene. Sie gingen ein wenig weg vom Feuer und der Totengräber fragte Ezra noch einmal leise, ob dies wirklich der Mann sei, den sie gesehen habe. Sie schaute ihn sich noch einmal genauer an, jetzt war sie sich gar nicht mehr so sicher. Seine Augen blickten stur gerade aus und nur eine Strähne seiner offenen, längeren Haare, welche ihm ins Gesicht fiel, lockerte seinen Gesichtsausdruck etwas. Da kam ihr ein Gedanke: „Würdet Ihr die Haare zu einem Zopf machen?“, fragte sie ihn. Er nahm seine Haare brummend am Hinterkopf zusammen. „Und dreht Euch bitte ein wenig ins Licht.“, bat sie weiter. Er tat es und als er sich drehte, erkannte sie die Armstulpen des Diebes wieder. „Ja, das ist er. Ihn habe ich vorhin gesehen!“, sagte sie voller Überzeugung. Als sie der Blick Kaspar’s traff, versteckte sie sich schnell wieder hinter dem Totengräber. „Nun, dann würden wir jetzt wirklich gern Eure Taschen durchsuchen.“, forderte er ihn schroff auf. Kaspar lies es widerwillig über sich ergehen, jedoch konnte der Totengräber bei ihm nichts finden. „Vielleicht hat er das Papier schon an einen anderen Ort gebracht?“, flüsterte Ezra ihm ins Ohr. „Mh. Wahrscheinlich.“, brummte der Totengräber zurück. „Nun, ich finde nichts bei Euch. Also war meine Anschuldigung wohl fehl am Platze. Bitte verzeiht mir die Unannehmlichkeit und nehmt meine Entschuldigung an“, er reichte dem Åsländer zur Versöhnung die Hand. Dieser jedoch sah ihn nur grimmig an. „Anscheinend versteht Ihr es nicht richtig. Die ausgestreckte Hand ist ein Friedensangebot, Ihr sollt einschlagen und damit ist die Sache erledigt.“, erklärte ihm einer der Zuschauer, welche das Spektakel verfolgt hatten. Der Åsländer brummte und schlug dann kräftig mit dem Totengräber ein. „Kommt, ich gebe Euch ein Bier aus. Dann ist alles vergessen.“, schlug der Totengräber vor. Kaspar sah nun schon wesentlich besänftigter aus. Anscheinend war Bier die bessere Entschuldigung als Händeschütteln für ihn.
Ezra wandte sich noch einmal kurz dem Totengräber zu: „Verzeiht, ich bin mir aber sicher, dass er es war!“„Ist schon gut, es wird schon irgendwo wieder auftauchen und dann stellen wir den Dieb. Ich danke Euch trotzdem für Eure Hilfe.“, er klopfte ihr leicht auf die Schulter und verschwand in der Taverne.

Kaum schloss sich die Tavernentür hinter dem Totengräber, schlug sie auch schon wieder auf. „Ah, da bist Du ja!“, Tannrim kam auf Ezra zugestürmt, „Los, los, lass uns die Spinne holen, sie warten schon alle!“ Anscheinend sah er seine Chance, bei den Magiern zu punkten und wollte so schnell wie möglich Eindruck bei ihnen schinden. Also gingen sie los, um Eddna aufzuwecken.
Inzwischen war es so dunkel, dass man ohne Licht seine eigene Hand nicht mehr vor Augen sah. Die Zwei gingen also dem Licht ihrer Lampe folgend den gleichen Weg wie immer, um zum Schlafplatz von Eddna zu gelangen. Nach einer Weile schweigenden Fußmarschs lies jedoch ein markerschütternder Schrei sie beide stocken. Erschrocken sahen sie sich um, konnten jedoch Nichts entdecken. Ein weiterer Schrei durchbrach die Nacht. „Vielleicht sollten wir doch später wiederkommen!?“, flüsterte Tannrim in die darauffolgende Stille. Und so ein Feigling will Magier werden? Das wird doch nie was., dachte Ezra kopfschüttelnd bei sich. „Wenn Eddna bei uns ist, wird uns schon nichts passieren, gleich da vorn ist die Weggabelung, an der sie auf uns warten soll. Das Stück überstehst Du doch sicherlich noch, oder?“, fragte sie ihn spaßig, in der Hoffnung, ihm ein wenig Mut zu machen.
Vorsichtig liefen sie weiter, immer darauf bedacht, wenig Geräusche zu machen, um diese schreienden Gestalten bloß nicht auf sich aufmerksam zu machen. Die Abenteurer hatten ja schon genug Schauergeschichten über diese schreienden, weiß gekleideten Frauen mit ihren langen Krallenhänden berichtet. Mutig ging Ezra weiter voraus und rief leise nach der Spinne: „Eddna? Eddna, bis Du da, Schatz? Komm her zu uns.“
Da krabbelte das riesige Ungetüm auch schon auf sie zu. Ob ich mich wohl jemals an diese gruseligen langen Beine gewöhnen werde?, fragte sich Ezra im Stillen. „Na komm, es dauert noch ein Stück, bis wir wieder bei der Taverne sind. In der Zeit beschützt Du uns doch, nicht wahr?“, wandte sie sich an die Spinne. Diese klackerte kurz mit ihren riesigen Kiefern, was Ezra als Zustimmung ansah. Tannrim kramte in der Zeit nach seiner Flöte und begann ein wenig darauf zu spielen. Wahrscheinlich wollte er so die Schreie und das Gekreische übertönen und damit seine Angst vertreiben. Ezra sollte es Recht sein, denn ihr war trotz der riesigen Spinne als Schutz schon ein wenig mulmig zu Mute.

Ihr Weg in die Taverne verlief ohne weitere Zwischenfälle und auch die Schreie hatten aufgehört. Als sie nahe der Taverne Gelächter vernahmen, machte Ezra sich schon wieder weniger Gedanken wegen der Gefahren, als viel mehr an ihren Profit zu denken: Hoffentlich sind die Leute heute mehr dazu geneigt, uns ihr Erspartes zu vermachen. Ha, sie recken sich schon die Hälse nach dem Flötenspiel, perfekt!
„Kommt und staunt, meine lieben Leute!“, rief sie, als Tannrim mit der Spinne langsam in Richtung des Lagerfeuers flötete. „Eine gezähmte, karysche Riesenspinne!“, rief Ezra weiter, „Nur für Euch gezähmt und nur für Euch tanzt sie nun zum Flötenspiel!“ Ezra zückte ihren Hut und tatsächlich, heute schien ein profitablerer Tag als gestern zu werden. Die Münzen flogen zwar vereinzelt, aber immerhin. Auch die Åsländer saßen am Feuer und der Große mit den Hörnern beobachtete die Spinne mit großem Interesse.
„Sagt mal, Ihr habt nicht zufällig einen Bogen Papier bei Euch?“, fragte Ezra einer der Zuschauer. Verwirrt antwortete sie ihm: „Ähm, nein. Aber wenn Ihr mir ein wenig Kupfer überlasst, kann ich Euch sicher einen besorgen.“ Sie hielt ihm ihren Hut vor die Nase und zwinkerte ihm zu. Dieser jedoch schnaubte nur abwertend und ging wieder. Es sind schon komische Käuze hier dabei., stellte Ezra fest und widmete sich lieber wieder einem zahlenden Zuschauer.
Da bemerkte sie aus den Augenwinkeln heraus, dass der gehörnte Åsländer schnurstracks und mit nun grimmigem Gesichtsausdruck auf Tannrim zumarschierte. Er baute sich vor ihrem Ehemann auf und sagte etwas zu ihm. Aus der Ferne sah es so aus, als ob er ihm etwas befehle. Tannrim schaute verunsichert zu Ezra hinüber, spielte aber weiter auf seiner Flöte. Der Åsländer schob während Tannrim spielte die Ärmel seines Hemdes nach oben und untersuchte seine Handgelenke. Als er Tannrim an den Kragen ging, wurde es Ezra aber zu bunt. „He!“, rief sie, „Lass gefälligst meinen Ehemann in Ruhe! Such Dir doch selber einen!“ Die Menge schaute belustigt zu den beiden Männern hinüber und Tannrim stolperte dankbar ein paar Schritte von dem großen Åsländer weg.
Dieser wandte sich nun aber an Ezra und kam mit großen Schritten auf sie zu. Ihm folgte ein weiterer Åsländer der Gruppe. Ha, da schicken sie zwei, um mit mir fertig zu werden, so tapfer sind sie also doch nicht., schmunzelte Ezra. Der Große blieb vor ihr stehen und schaute von oben auf sie herab. „Wenn er es nicht hat, musst Du es haben.“, auffordernd blickte er Ezra an. „Ich weiß nicht wovon Du sprichst.“, antwortete sie ihm mit dem finstersten Blick, zu dem sie in diesem Moment im Stande war. „Ein Amulett. Mit einer Spinne darin. Du musst es haben. Es ist mein Eigentum, gib es mir! „, sprach der Große weiter.
Ezra schaute kurz zu ihrem Ehemann hinüber, der flötespielend um den Tisch tanzte. Eddna folgte ihm dabei, allerdings tanzte sie dabei immer weniger. Verdammt, ich muss mich mehr konzentrieren, sonst gerät sie außer Kontrolle, nachher frisst sie noch jemanden., befürchtete Ezra. Eddna! Tanzen nicht Jagen!, dachte Ezra in Richtung der Spinne. Diese blieb kurz stehen und tanzte sodann weiter, als wäre Nichts geschehen. Der große Åsländer lächelte selbstgefällig. „Zeig mir Deine Handgelenke!“, forderte er Ezra auf. Sie tat wie ihr geheißen und schlug mürrisch ihre Ärmel zurück. Er konnte Nichts finden, schließlich trug sie das Amulett unter einer Lage ihres Wickelrockes. Wenn sie es haben wollten, sollten sie sie doch durchsuchen. Dann würden sie schon sehen, wie eine Mobenfurterin sich verteidigen kann. Der Große schaute enttäuscht auf ihre nackten Handgelenke. Er murmelte ein kurzes „Verzeihung“ und versuchte sodann an ihrem Hals nach dem Amulett zu fühlen. Ezra schrie so lauf sie nur konnte: „Hilfe!“ und der Gehörnte zog sofort peinlich berührt seine Hand weg. Ein hochmütiges Lächeln legte sich auf Ezra’s Lippen, erstarb jedoch sofort wieder. „Wenn Du es nur gefunden hast, dann droht Dir keine Gefahr. Hast Du es mir jedoch gestohlen…“, er beendete den Satz nicht, sondern blickte Ezra nur weiterhin finster an. Sie wich aus Reflex einen Schritt zurück. „Wenn Du es wirklich nur gefunden hast, tut er Dir nichts. Aber dann solltest Du es ihm jetzt sagen, sonst kann ich für nichts garantieren.“, der zweite Åsländer kam nun hinter dem Großen hervor. Es war Kaspar. Ezra blickte die Zwei stur an. Sie war nicht gewillt, das Amulett so einfach herauszugeben. Natürlich, sie hatte es nur gefunden und sein rechtmäßiger Besitzer hatte den eigentlichen Anspruch darauf. Aber er konnte sie doch nicht so einfach um ihre neue Einnahmequelle bringen!

Der Große seufzte: „Na gut, Weib. Ich gebe Dir ein Silberstück, wenn Du mir sagst, ob Du mein Amulett hast.“ Na also, jetzt sprach er die richtige Sprache. „In Ordnung.“, willigte Ezra ein. Er drückte ihr das Geldstück in die Hand und schaute sie auffordernd an. „Ja, ich habe das Amulett.“, sagte sie ihm, „Aber ich habe es nicht gestohlen! Ich habe es im Wald gefunden.“, schob sie schnell hinterher.
„Gut. Es gehört mir, also will ich es wiederhaben. Was willst Du dafür haben?“, fragte er weiter. „Mh. Mir geht schon ein Großteil meiner Einnahmen verloren, wenn ich es Dir wiedergebe.“, mit übertriebenen Gesten des Überlegens wippte Ezra vor und zurück. Ihr gefiel es, mit diesem riesigen Mann zu spielen. „Jetzt sag schon etwas!“, mischte sich Kaspar in rauem Ton da von hinten ein. Ezra erschrak kurz und entschied sich dafür, die beiden lieber nicht weiter zu reizen. „Pass auf, ich gebe Dir noch eine Silbermünze für mein Amulett und noch ein Kupfer, für die Darbietung der tanzenden Spinne. Und damit ist dann alles vergessen. Was hältst Du davon?“, schlug der Gehörnte vor. Die große Wahl hatte Ezra eh nicht. Noch einmal schaute sie zu Eddna und Tannrim. „Vielleicht hört die Spinne ja auch ohne das Amulett auf Dich.“, sprach der Große leise zu ihr, „Ich habe auf dem Schiff auch eine Riesenspinne, die hört auch ohne das Amulett. Ich habe sie seit sie aus ihrem winzigen kleinen Ei schlüpfte. Wir haben sie großgezogen und Hämähäkki getauft. Probier doch mal, ob das mit Deiner Spinne auch funktioniert.“ ermunterte er Ezra.
„Also ich weiß nicht.“, entgegnete sie ihm, „Ich bezweifel es eigentlich.“ Verunsichert schaute sie den Großen an. „Versuch es einfach mal. Lass die Konzentration auf die Spinne kurz fallen und schau, was sie macht.“, erklärte er. Ezra nickte und konzentrierte sich darauf, sich nicht auf die Spinne zu konzentrieren. Tatsächlich funktionierte es! Aber die Spinne sprang sofort auf einen der Zuschauer zu, sodass Ezra sie nur mit einem Griff zum Amulett und einem lauten: „Eddna! Aus!“ wieder zurück pfeiffen konnte. „Na, das war wohl Nichts.“, gab sie resignierend zu. „Bringst Du sie weg von hier und versprichst mir, Dich nicht an uns zu rächen oder so was?“, fragte sie den Åsländer mit ein wenig Angst in der Stimme. „Warum sollte ich mich an Euch rächen? Du hast mir mein Amulett wiedergebracht und gesagt, Du hast es nicht gestohlen. Da ich Dir glaube, besteht kein Anlass mich für irgendetwas zu rächen.“ antwortete er ihr mit einer Sanftheit in der Stimme, die sie von so einem großen, bärtigen Barbaren nie erwartet hatte. Waren die Åsländer doch nicht die skrupellosen und bösartigen Seeräuber, als die sie überall verschrien waren?
„Gut. Wir machen den Handel.“, schweren Herzens kamen die Worte über ihre Lippen, während sie das Amulett hervorkramte. Im Austausch gegen die glänzenden Münzen gab sie ihm traurig das Schmuckstück. Nun müssten sie sich etwas Neues einfallen lassen, um Profit zu machen. Der Große lächelte zufrieden und ging mit den Worten: „Komm Eddna.“ mit der Spinne und Kaspar zurück zum Feuer.

Tannrim hatte unterdessen mit dem Spielen aufgehört und kam zu Ezra. „Was ist los?“, fragte er sie, „Warum verschwindet der Riese jetzt mit unserer Spinne?“„Weil sie jetzt ihm gehört. Das Amulett, das ich im Wald gefunden hatte, gehört eigentlich ihm. Also haben wir einen Handel gemacht und er hat’s mir abgekauft.“, seufzte Ezra während sie wehmütig ihrer Einnahmequelle hinterher sah. „Mh. Na, wenigstens konnte ich einen Teil unseres Geldes retten.“, sagte Tannrim zufrieden.
„Wie, einen Teil unseres Geldes retten?“, Ezra sah ihn schockiert an. „Na ja.“, Tannrim wand sich förmlich unter ihrem Blick. „Ich kann nun mal nur entweder Flöte spielen oder mit dem Hut umhergehen, um das Geld einzusammeln. Ich glaube, der Schankwirt  war’s, der auch mit Geld eingesammelt hat. Aber dann war er plötzlich weg und nun seh ich ihn nicht mehr.“, gab er kleinlaut zu. „Das kann doch wohl nicht wahr sein!“, explodierte Ezra, „Zeig mir sofort wer unser Geld hat!“ Tannrim sputete sich, den Wirt zu finden, schließlich kannte er die Wutanfälle seiner Frau nur zu gut.
„Ah, da drüben ist er, beim Feuer!“, freudig zeigte Tannrim in Richtung der Åsländer, welche rund um das Feuer saßen. In der Mitte der Gruppe, stand ein kleiner, rundlicher Mann – der Schankwirt! Eilenden Schrittes ging Ezra auf die Gruppe zu. „Ihr habt mein Geld, wie ich höre!?“, begrüßte sie den Schankwirt etwas holprig und streckte gleichzeitig die offene Hand aus, um ihr rechtmäßig verdientes Kupfer anzunehmen. In diesem Moment sah sie, dass der Schankwirt gerade etwas in die Hand des gehörnten Riesen legte. Dieser sah sie verdutzt an und brach dann in schallendes Gelächter aus. „Oh, das war Euer Geld? Ich dachte, es gehöre ihm, weil er doch die Spinne hat!“, gab der Schankwirt etwas beschämt zu. „Das kann doch nicht…“, zähneknirschend verschluckte Ezra den Rest des Satzes. „Aber grämt Euch doch nicht! Ich habe weniger bekommen, als ich Euch gegeben habe.“, brachte der Große heraus, bevor er wiederum von einem Lachen geschüttelt wurde. Die Zähne zusammenbeißend machte Ezra auf dem Absatz kehrt. „Geh mir aus dem Weg!“, zischte sie Tannrim an, der direkt vor ihr stand und nun ein paar Schritte zur Seite stolperte. „Aber wenigstens haben wir heute gut verdient!“, versuchte er sie zu beschwichtigen. „Gut verdient?“, entfuhr es ihr ein paar Oktaven zu hoch. „Du unnützer Taugenichts! Hättest Du besser auf unser Geld aufgepasst, hätten wir vielleicht gut verdient!“ Unter dem allgemeinen Geschmunzel der Umstehenden trieb sie ihn, mit ihrem Hut nach ihm schlagend, in Richtung der Taverne. „Ich hol Dir erstmal was zu Essen, Du hast bestimmt Hunger.“, gab er zwischen zwei Schlägen von sich, „Setz Dich doch schon mal rein.“, er duckte sich unter dem nächsten Schlag weg und verschwand ins Innere der Taverne.
Verdammt!, dachte sich Ezra, Meine ganze Zukunft steht gerade auf dem Spiel! Was soll ich denn jetzt bloß machen? Sie lehnte sich an die Außenwand der Taverne und sah noch einmal in Richtung der Åsländer. Sie lachten, feierten und tranken aus einem riesigen Horn, welches wohl mit Met gefüllt war. Der Große sprach mit der Spinne, tätschelte sie am Kopf und lächelte zufrieden. Ezra lehnte ihren Kopf gegen die Wand und schaute hoch in die Sterne. Die haben bestimmt weniger Probleme ihre Zimmer und ihr Essen zu zahlen., dachte sie sich, Was mach ich denn jetzt nur? Seufzend sah sie ein, dass die Sterne ihr auch keine vernünftige Antwort geben würden. Resignierend zog sie die Tür zur Taverne auf, aus der ihr der Geruch von frisch gebratenem Fleisch und Sauerkraut entgegen schlug. Na, wenigstens kommen wir mit dem Silber erst einmal eine Zeit lang über die Runden. Bis es zur Neige geht, fällt mir schon irgendetwas Neues ein., dachte sie sich und betrat den Schankraum

Als Ezra nun wieder etwas im Magen hatte, fühlte sie sich wirklich besser. Trotzdem grübelte sie weiterhin über ihre Zukunft nach. Sie wollte auf keinen Fall zurück zu den Holzfällern. Nachdem das Geld jetzt so spielend leicht verdient wurde, hatte sie einfach keine Lust mehr, wirklich hart dafür zu arbeiten. Tannrim machte sich da weniger Sorgen. Er lebte eh nur in den Tag hinein.
„Lass uns noch mal einen Spaziergang machen, dass ich auf andere Gedanken komme.“, forderte sie ihn auf. Er nickte, bezahlte den Wirt und folgte ihr in den Vorraum der Taverne. „Auf jeden Fall müssen wir dafür sorgen, dass die Åsländer uns nicht verraten. Wenn wir Deinen Ruf weiterhin aufrecht erhalten, können wir vielleicht doch noch was damit gut machen.“, sprach Ezra ihre Gedanken laut aus.
„Was sollen die Åsländer nicht verraten?“ Kaspar stand plötzlich vor ihnen und schaute sie grimmig an. Die Åsländer saßen meistens draußen am Feuer und kamen nur zum Auffüllen ihrer leeren Schüsseln in die Taverne. „Äh, dass die Spinne nur auf das Amulett hörte und nicht auf die Musik.“, antwortete Ezra ihm ein wenig eingeschüchtert. Er stand nah vor ihr und funkelte sie von oben herab an. „Kommt drauf an, was Ihr uns bietet.“, erwiderte er mit einem anzüglichen Grinsen. Verblüfft trat Ezra einen Schritt zurück und sah Tannrim an. Dieser zuckte nur mit den Schultern. „Verkauft sie mir.“, wandte sich Kaspar nun an ihn.
„Bitte?“, stammelte Ezra. Das hatte er nicht wirklich gesagt, oder? „Wie viel wollt Ihr mir denn für sie geben?“, fragte Tannrim den Åsländer mit einer Geschäftstüchtigkeit, die sie immer bei ihm vermisst hatte. „Sie hat noch alle Zähne, kann einigermaßen Backen und die langen Zöpfe sind ja wohl das Beste an ihr, oder?“, pries Tannrim sie an. Ezra starrte ihn fassungslos an. „Ich wollte doch schon immer zu Simpelus Hand, mit dem Geld komm ich bestimmt in die Akademie.“, erklärte er ihr verlegen. Kaspar betrachtete die Szene mit einem Schmunzeln. „Lasst uns das Morgen aushandeln. Ich schlage eine Nacht auf Probe vor und dann können wir verhandeln. Sofern beide Seiten dann noch damit einverstanden sind.“, grinste der Åsländer Ezra an. Er streckte beiden jeweils eine Hand hin und wartete mit einem Lächeln auf den Lippen darauf, dass sie einschlugen.
Mit offenem Mund starrte sie ihn an. Nun ja, sie war nie glücklich mit Tannrim und würde es wahrscheinlich auch nicht mehr werden. Und jetzt, da sie Kaspar genauer betrachtete, sah er doch verdammt gut aus. Groß, gut gebaut, die tiefschwarzen Haare reichtem ihm bis zum Kinn und seine braunen Augen funkelten belustigt. Was hatte sie schon zu verlieren? Sie schaute Tannrim, ihren Noch-Ehemann, an. Dieser nickte ihr kurz zu und griff die Hand des Åsländers. Was für ein Tag., dachte sie sich, seufzte und schlug ebenfalls ein.

Während sie später am Feuer saßen, erfuhr Ezra noch einiges über die Åsländergruppe. Der Captain sprach ihre Sprache fast gar nicht und brauchte eigentlich einen Übersetzer. Der hatte jedoch für den heutigen Tag einen Zauber gesprochen, wodurch jeder der dem Captain seinen Namen nannte, ihn verstand. Dieser schien das sehr zu genießen, so sprach er viel, erzählte Geschichten seines Clans und freute sich sichtlich, dass viele ihm lauschten. Sie erfuhr, dass der Große mit den Hörnern Jöckaleiken hieß. Sie nannten ihn jedoch alle nur Jöcka. Er hatte Eddna in den Wald entlassen und ihr gesagt, sie solle dort ein Nest bauen und nie wieder zu den Menschen kommen. Dass sie keine Menschen fressen solle, hatte er ihr wohl auch noch gesagt. Wie es aussah, war er wirklich ein freundlicher Åsländer.
Weiter bekam sie mit, dass ein karyscher Zimmermann namens Latislaus wohl erst frisch in ihrer Crew aufgenommen worden war. Er wurde von allen nur Laus genannt und schien ein wenig anders zu sein. Ständig wollte er allen Leuten erklären, wie man einen Dachstuhl baut. Auch Ezra wollte er es erklären. Noch ganz gebannt von der Tatsache, dass diese Åsländer völlig anders waren, als sie immer vermutet hatte, nickte sie nur kurz in seine Richtung und schon fing er an zu erklären. Nach mehreren Ablenkungsversuchen aller Anderen am Feuer, hörte er endlich auf und wollte stattdessen dann jetzt lieber ein Lied singen. Es war ein lustiger Haufen und eine sehr angenehme Stimmung hier am Feuer. Als Laus jedoch wirklich ansetzte, ein Lied zu singen, fiel Ezra ganz zufällig auf, dass ihre Flasche leer war und sie nutzte die Gelegenheit liebend gern kurz aus, um die Flasche in der Taverne aufzufüllen. Als sie aufstand, bemerkte sie, dass Kaspar sie beobachtete. Sie schaute zu ihm und wurde verlegen, als sie sein anzügliches Grinsen sah. Oh weh, oh weh, was soll das nur werden?, fragte sie sich auf dem Weg in die Taverne.

Nachdem sie ihre Flasche wieder mit Traubensaft gefüllt hatte, schloss Ezra die Tavernentür hinter sich und genoss die kalte Luft, die ihr hier entgegen schlug. Drinnen war es ihr viel zu warm und zu laut gewesen. Da wurde sie auf die Gruppe links von ihr aufmerksam. Der Totengräber und einige andere Männer standen dort und diskutierten. Gerade als Ezra sich abwenden wollte, um wieder zum Feuer zu gehen, gab es eine Explosion. Rauch, bunte Lichtblitze und Gestank verbreiteten sich und verschwanden ebenso schnell wieder, wie sie erschienen waren an der Stelle, an der eben noch der Totengräber stand. Und nun war er verschwunden!
Entsetzt schaute Ezra die Anderen der kleinen Gruppe an. Sie blickten ebenso erschrocken, jedoch murmelten sie gleich etwas von wegen Bannprozess, die Papierbögen und dass das Ritual wohl angefangen haben muss. Wenn sie es richtig verstand, hatten die Abenteurer ein Buch gefunden. Dieses Buch sollte eigentlich alle möglichen Wesen in sich gebannt halten. Jedoch fehlten nun die Seiten und die Wesen liefen umher, ohne zu wissen, dass sie eigentlich gebannte Gestalten waren. Sie erinnerte sich: Dem Totengräber wurde doch eine Seite gestohlen! Dann war er etwa auch so ein gebanntes Wesen!? Anscheinend veranstalteten die Abenteurer nun am Rande des Walds ein Ritual, um die Wesen mithilfe der wiedergefundenen Seiten wieder in das Buch zu bannen. Deswegen hatte der Mann unter den Zuschauern gefragt, ob wir auch so eine Seite hätten! Na, glücklicher Weise nicht! Sonst würden wir ja jetzt auch verschwinden!, stellte Ezra mit einem leichten Schaudern fest. Sie zog ihren Umhang enger um sich und ging schnell wieder zurück zum Feuer.

„Was war denn los?“, fragte Jöcka sie, als sie sich gerade setzte. „Die Abenteurer bannen wohl irgendwelche Wesen in ein Buch und der Totengräber war ein solches Wesen.“, erzählte sie ihm. „Ha!“, kam es da von Kaspar, „Das heißt ich kann jetzt wieder Ruuk sein!?“ Er lachte laut und die anderen Åsländer stimmten in sein Gelächter ein. Ezra verstand nicht was so lustig war. „Wo kein Kläger, da kein Richter.“, zwinkerte er ihr zu, band sich die offenen Haare mit einem Band zu einem Zopf zurück und legte sich eine Art Stirnband, welches wie eine Fischhaut aussah, um. „Ruuk ist wieder da!“, lachte er mit den Anderen.
Ezra verstand. „Also warst Du doch derjenige, der ihm das Papier gestohlen hat!“, stellte sie fest. Nun wusste sie auch, warum er vorhin so anders aussah. Ohne Zopf und Stirnband hatte sie leichte Zweifel, ob er es wirklich gewesen war. Noch lachend erwiderte er: „Ja, das war ich. Woher weißt Du davon?“„Ich war die Zeugin, die Dich erkannt hat. Also habe ich doch Recht gehabt!“, triumphierend antwortete sie ihm. „Ach, Du warst das?“, fragte er nun mit einem fiesen Grinsen, während er näher auf sie zukam, „Ich hab Dich gar nicht erkannt.“„Ähm.“, leicht verunsichert rutschte sie auf ihrer Bank ein wenig weg von ihm. Er lachte und legte seinen Arm um ihre Schulter. Verlegen lächelnd sah sie ins Feuer. Irgendwie hat er ja wirklich was an sich. Und Ruuk passt wesentlich besser zu ihm als Kaspar., dachte sie sich.

„Ach was!?“, schallte es da von Jöcka, „Hat’s etwa endlich mal geklappt?“ Er schaute Ruuk mit einem beeindruckten Grinsen an. „Jap.“, erwiderte dieser nur ganz selbstgefällig und zog Ezra ein wenig näher zu sich heran. Verwirrt schaute sie zwischen den Beiden hin und her. „Ha, Eins zu Elf für Ruuk, ich glaub’s ja nicht!“, lachte Jöcka weiter und auch die anderen Åsländer stimmten in das Gelächter mit ein. Na toll, ein Weiberheld., dachte sich Ezra, Da bin ich ja mal gespannt, ob das mit dem Heiraten morgen noch Thema ist. Aber egal, mach ich’s heut mal wie Tannrim und lebe in den Tag, ach was sag ich, in die Nacht hinein. Und auf die bin ich wirklich sehr gespannt.
Schmunzelnd lehnte sie sich zurück und genoss einfach die Stimmung rund um das Feuer. Sie überhörte die Witzeleien um Ruuk’s neues Salzweib geflissentlich, lies sich von den Geschichten des Captains weit forttragen und lebte einfach das Hier und Jetzt.