11 Tage nach dem 1. Vollmond 78 n.d.g.B.

Die Taverne „Zum tänzelnden Zwergen“ am Simmering füllte sich allmählich. Ezra trank den letzten Schluck ihres Traubensafts und beugte sich zu Tannrim hinüber. „Es wird Zeit, lass sie uns holen.“, flüsterte sie ihm zu. Er nickte, trank auch seinen Becher leer und sie verließen die Taverne. Kalt war es geworden. Auch wenn der Schnee in diesem Jahr noch auf sich warten lies, hatte er seine kalten Winde nun wieder über das Land geschickt, um sein Kommen anzukündigen. Ezra zog ihren Umhang ein wenig enger, zog sich den Hut tiefer ins Gesicht und lief voran in die Dunkelheit.
Gruselige Gestalten sollten sich angeblich hier im Wald umhertreiben, aber weder Ezra noch ihr Ehemann Tannrim hatten bisher etwas Seltsames entdeckt. Nun ja, bis auf das riesige, haarige, achtbeinige Monster, welches nun aus dem Wald auf sie zu kam. „Na Eddna, hast Du gut geschlafen?“, begrüßte Ezra die riesige Spinne. Nachdem sie verstanden hatte, dass sie mit diesem Amulett Spinnen kontrollieren konnte, hatten sie Mobenfurt schnell verlassen. Eine gezähmte Riesenspinne war eine Sensation im ganzen Land und brachte schon eine Menge Anerkennung. Aber eine tanzende Riesenspinne, welche von einem Flötenspieler domtiert wird, dass war etwas, was die Menschen so sehr beeindruckte, dass sie sogar ein paar Kupferstücke dafür hergaben. So zogen sie nun also durch die Ostlande von Taverne zu Taverne und ließen die Spinne, welche Ezra nach einer Weile Eddna getauft hatte, für die Menschen tanzen. Immer sah es so aus, als ob Tannrim der Spinnendomteur wäre und die Spinne allein mit seinem Flötenspiel beherrschte. Doch das Amulett hatte Ezra unter einer Schicht ihres Rockes verborgen. Wer wusste schon, wem dieses Amulett gehört und ob er es ihnen nicht sofort – vielleicht sogar mit Gewalt – abnehmen würde, wenn er bemerke, dass sie damit gut über die Runden kamen. Sie pries die beiden also unter dem Volk als: „Tannrim, der Spinnenfänger von Mobenfurt mit seiner gezähmten Riesenspinne, welche bereits im ganzen Land bekannt wären“ an und lies sich dabei allerlei Kupfer von den begeisterten Zuschauern in ihren Hut werfen. Sicher, reich würden sie so nicht werden, aber es war ein profitableres Leben, als bei den Holzfällern.
So zogen sie nun also in Richtung Taverne, um Eddna wie jeden Abend auftreten zu lassen. Tannrim spielte sich bereits ein wenig auf der Flöte ein und Eddna krabbelte geduldig hinter den Beiden her. Aus den Augenwinkeln vernahm Ezra etwas Weißes tief im Wald vorbei huschen und blickte verwirrt in die Dunkelheit. „Hast Du das auch gesehen?“, fragte sie Tannrim. „Hä? Was?“, antwortete dieser und schaute nun fragend in die Richtung, in welcher Ezra krampfhaft versuchte etwas im Dunklen zu erkennen. „Mh. Hab mich wohl getäuscht. Egal, lass uns weitergehen, sonst haben die Leute ihr ganzes Geld für Bier und Met ausgegeben und haben für uns nichts mehr übrig.“ So zogen sie weiter in Richtung des Gasthauses.
Vor der Taverne herrschte schon reges Treiben, als sie dort ankamen. „Was machen denn die ganzen Leute hier?“, raunte Tannrim Ezra zu. „Keine Ahnung, aber so wie die aussehen, haben die bestimmt mächtig Münzen in den Taschen. Jetzt fang schon an zu spielen, dass sie uns auch bemerken! Na hopp!“, wies sie ihren seufzenden Ehegatten an. „Und Du tanzt schön für mich zum Flötenspiel, ja meine Süße?“, wendete Ezra sich mit honigsüßer Stimme an die Spinne, welche sich sogleich zu Tannrim’s Flötenmusik im Takt wiegend auf die Menschenmenge zubewegte. Ezra lächelte zufrieden. Na wenn das mal keinen ordentlichen Gewinn heut geben wird!
Sie zog ihren Hut und schritt erhobenen Hauptes auf die Menge zu. „Das habt Ihr in ganz Karys, ach was sage ich, in den ganzen Ostlanden noch nicht gesehen!“, rief sie der Menge zu. „Der große Tannrim – der Spinnenfänger von Mobenfurt – berühmt im ganzen Land, lässt die gewaltige Riesenspinne nur für Euch, meine lieben Leute, tanzen! Lasst Euch das nicht entgehen! So etwas hat die Welt noch nicht gesehen! Eine tanzende und gezähmte, karysche Riesenspinne!“
Begeistert tänzelte sie mit dem gezückten Hut an den Menschen vorbei, doch diese blickten nur argwöhnisch auf Eddna. Diese wiederum tanzte, wie eine Spinne eben tanzt, zu Tannrims Musik um den Tisch und hin und her. Irgendwas ist an diesen Leuten anders. Normaler Weise sind die Menschen begeistert und die Münzen regnen nur so in meinen Hut!
„He, Weib! Was ist denn bitte, wenn er aufhört zu spielen? Sind wir dann alle des Todes, weil Ihr diese riesige Spinne hier her bringt?“, rief ihr nun einer der Männer in der Runde zu. „Sie ist gezähmt und tanzt zu Eurer Freude und nicht um Euch umzubringen! Freut Euch lieber an ihrem Tanz und dem Flötenspiel und belohnt unsere Mühen mit ein wenig Kupfer.“, versuchte sie den Mann zu beruhigen. Doch dieser wollte sich nicht so recht beruhigen lassen. „Wir haben gerade wirklich andere Sorgen, als so eine Spinne, die uns auch noch umbringen will! Verschwindet damit!“, brummte der Mann weiter und verschwand mit einem Großteil der Menge in der Taverne. „Pha! Kunstbanausen! Ihr habt doch keinen Sinn für gute Unterhaltung!“, rief Ezra ihnen noch wütend hinterher, aber sicher hörten sie es schon gar nicht mehr.
„Hier gute Frau.“ Eine Kupfermünze flog in Ezra’s Hut. Verwundert schaute sie auf. „Mir hat’s gefallen, auch wenn ich die Spinne eher furchteinflössend als schön finde. Aber Ihr habt es Euch verdient. Vielleicht klappt’s ja morgen besser!“ Ein großer Mann mit krausem Haar und Robe lächelte sie freundlich an, deutete eine Verbeugung an und verschwand dann ebenfalls in der Taverne. Mh. Na ja, besser als gar nichts. Und vielleicht hat er ja Recht und morgen sieht’s wirklich besser aus., dachte Ezra sich.
„Tannrim, Du kannst aufhören, sie sind doch alle schon weg!“, rief sie ihrem Ehemann zu. „Ja, Eddna, komm her meine Kleine, komm!“, lockte sie die Spinne zu sich. „Fein hast Du getanzt, ja ganz fein war das.“ Die Spinne schien sich über das Lob zu freuen, auch wenn man wenig bis gar keine Mimik bei ihr ausmachen konnte. „Nun husch, mit Dir in den Wald zurück. Jag Dir was Feines zu Essen, aber keine Menschen, hörst Du? Nicht dass Du uns noch die potentiellen Geldgeber wegfrisst, nicht wahr?“, witzelte Ezra, als sie die Spinne zum Nachtmahl schickte. „Na dann. Wollen wir uns mal anhören, was so viel toller als eine tanzende Riesenspinne ist, dass diese ganzen Abenteurer hier aufkreuzen.“, meinte Ezra zu Tannrim und ging mit ihm zurück in die Taverne.
Drinnen war großes Gedränge und kaum noch freie Plätze. „He, Ihr da, kommt, setzt Euch zu uns!“, rief es mit einem Mal aus dem Gedränge zu ihnen herüber. Ezra erkannte den großen Mann von vorhin wieder, der ihnen freudig zuwinkte und die Leute an seinem Tisch anwies: „Jetzt macht doch mal Platz, das sind die Beiden mit der Spinne!“
Dankbar setzten sie sich zu den Abenteurern. Während Ezra Schalen und Besteck aus ihrer Tasche kramte, fragte der große Mann ganz begierig und mit der Neugier eines Kindes Tannrim nach der Spinne aus. Wo er sie her hätte, wie das mit dem Flötenspiel klappen würde und vor allem schien ihn zu interessieren, ob die Spinne auch ohne die Musik gehorcht. Geduldig erklärte Tannrim ihm, dass sie die Spinne auf dem Weg hier her gefunden und gezähmt hatten. Natürlich erwähnte er mit keiner Silbe das Amulett. Nur einmal hatte er sich fast verplappert, da kam Ezra’s Ellenbogen allerdings – natürlich nur aus Versehen – ziemlich schmerzhaft zwischen seinen Rippen zum Stoppen. Nur sehr ungern erinnerte er sich daran. Und auch Ezra tat es im Nachhinein etwas leid, schließlich konnte Tannrim anschließend drei Tage nicht mehr richtig Luft holen und demnach auch keine Flöte spielen.
„Und da sie gezähmt ist, gehorcht sie auch wenn ich aufhöre Flöte zu spielen.“, endete Tannrim mit seinen Ausführungen. Interessiert nickte der Große, der gebannt gelauscht hatte.
„Wo kommt Ihr denn eigentlich her?“, wollte Ezra’s Banknachbar zu ihrer Linken nun wissen. „Aus Mobenfurt.“, antwortete sie ihm, „es liegt ein paar Tagesreisen von hier entfernt.“ Der Mann fragte weiter: „Und dort gibt es so komische Spinnen mit Hörnern auf dem Kopf?“ Er trug eine Kettenrüstung und einen roten Überwurf darüber. Anscheinend war er ein Krieger, welcher nur zu gern karysche Riesenspinnen erschlug. „Ähm, keine Ahnung.“, antwortete Ezra ihm, „Ich schaue mir andere Spinnen auch nur selten an. Wir sind ja keine Spinnenforscher oder sowas. Eddna ist halt einfach unsere Spinne.“ Es wurde am Tisch noch ein wenig über die Hörner von Eddna diskutiert, ob sie nun normal wären oder nur bei einer bestimmten Art von karyschen Spinnen, welche wohl aus dem Düsterwald stammen mussten, zu finden wären. Erst als der Koch zum Essen rief und das große Schüsselgeklapper los ging, verstummten die Gespräche.
Nach dem Essen begann das allgemeine Austauschen der Geschehnisse hier am Simmering und einige der Gäste begannen mit Würfel- und Kartenspielen. Am Nachbarstisch stritten sich drei Frauen lautstark um ein rotes Kleid. Es gehörte einer Elfe, welche erhängt aufgefunden wurde. Die Frauen benahmen sich beinahe wie hysterische Waschweiber, als einer der Männer am Tisch das Kleid nahm und damit die Taverne verließ. Ezra wandte sich lieber den Geschichten der anderen Abenteurer zu, die schienen interessanter zu sein, als streitende Weiber. Aus den Gesprächen hörte sie heraus, dass im Wald wohl weiße Frauen gesehen wurden, welche kreischend und schreiend die Leute angefallen hätten. Sie hätten schwarze, tiefliegende Augen, markerschütternde Stimmen, die noch zwei Meilen gegen den Wind zu hören waren und Hände, mit langen, scharfen Krallen, mit denen sie nach den Wanderern griffen. Ob das Weiße, das Ezra im Wald gesehen hatte, wohl so eine Frau gewesen war? Aber gehört hatten sie nichts. Vielleicht lauschten sie lieber Tannrim’s Flötenspiel als zu schreien!? Weiter erzählten einige Abenteuerer davon, dass sie einer riesigen Kreatur mit drei Hörnern begegnet waren, welche mit getrockneten Tomaten ruhig gestellt wurde, sodass die Gruppe weiterziehen konnte. Drei Hörner?, dachte sich Ezra, Das wird doch nicht etwa unsere Eddna gewesen sein? Vielleicht sollte ich das mit den Tomaten mal ausprobieren?
Dann gewannen die Spieler an ihrem eigenen Tisch Ezra’s Aufmerksamkeit. Es ging um ein Würfelspiel und darum, ob einer der Spieler betrog oder nicht, als sich eine Lehrerin der Magierakademie Simpelus Hand gerade in das Geschehen einmischte: „Eigentlich gehört sich sowas für mich ja nicht, aber das was Ihr hier macht, kann man sich ja nicht mit anschauen! Wenn Ihr der Meinung seid, einer betrügt, spielt doch ein einfacheres Spiel, dann kann auch niemand betrügen.“
Einvernehmliches Nicken und fragende Gesichter der Spieler veranlassten sie nun, der Runde ein Spiel nahezulegen: „Ich kenne ein Würfelspiel, welches einfach und auch leicht zu lernen ist. Es heißt Vier und Zwei.“ Sie erklärte die Regeln: „Ihr braucht einen Wüfelbecher und fünf Würfel. Dann kann’s auch schon losgehen: Der erste Spieler macht seinen Wurf und muss sich mindestens einen Würfel des Wurfes zur Seite legen. Dann kann er mit den verbleibenden Würfeln erneut würfeln. Er kann aber auch mehrere oder gleich alle Würfel zur Seite legen. Ziel ist es, bei den aussortierten Würfeln mindestens eine Vier und eine Zwei dabei zu haben. Die restlichen drei Würfel sollten möglichst hoch sein und legen die Punktzahl des Spielers fest. So würfelt sich jeder der Runde seine Punktzahl und am Ende gewinnt, wer die Höchste hat.“ Wieder nickten alle Spieler. „Das klingt fair.“, bestätigte einer der Runde. „Na dann, spielen wir! Einsatz pro Runde wird ein Kupfer!“, und schon wurde drauf los gewürfelt. Ezra sah sich das Spiel ein paar Runden an, bis sie sich entschloss mitzumachen. Ein Kupfer hatten sie schließlich mit Eddna eingenommen. Die zweite Runde gewann sie sogar, danach verlor sie allerdings nur wieder. Na ja, kein Profit, aber auch kein Verlust. Passt schon., dachte sie sich.
Es war spät geworden und die Taverne leerte sich langsam. Ezra beugte sich hinüber zu Tannrim: „Ich geh schon mal hoch auf’s Zimmer. Mach leise wenn Du kommst.“ Er nickte geistesabwesend, während er gebannt einer Gruppe von Magiern zuhörte, die sich über das Brauen von Tränken unterhielten. Seufzend nahm Ezra ihre Schüsseln und das Besteck und verließ den Schankraum. Auf dem Weg die Treppe nach oben überlegte sie noch, ob sie morgen mit ihrer Aufführung wohl zu mehr Geld kommen würden.