10 Tage nach dem 9. Vollmond 77 n.d.g.B.

„Jetzt macht schon, Ihr faulen Hunde!“, rief der Dorfbüttel sie zur Ordnung. „Das Holz muss bis zur Dunkelheit im Lager sein, Ihr wisst was sonst auf Euch wartet!“ Ezra lief ein paar Schritte schneller mit ihrem Bündel an Zweigen über der Schulter. Es war keine Androhung von Schlägen, die er damit aussprach. Eher die Androhung, sie hier im Wald allein zu lassen. Und in den letzten Wochen war das eine schlimmere Strafe, als geschlagen zu werden.
Im Wald um das Holzfällerlager hatten sich seltsame Dinge zugetragen. Manche der Holzfäller berichteten von stöhnenden und ächzenden Geräuschen aus den Tiefen des Waldes. Andere hatten ein schauriges Heulen vernommen. Zwei Weitere erzählten, sie hätten Feen gesehen, aber diesen beiden wurde am Wenigsten geglaubt. Der Dorfvorsteher hatte behauptet, sie würden immer noch unter dem Einfluss des Krauts stehen und hätten halluziniert.
Früher war Mobenfurt ein Goldwäscherdorf. Es lag nahe zur Orksteppe, daher war die Landschaft um das Dorf herum recht rau und ungastlich. Aber unten am Fluss, der Striegis, hatten die Bewohner gute Einnahmen mit dem Goldwaschen gemacht. Eines Tages waren zwei Händler ins Dorf gekommen, die einigen von ihnen ein Kraut verkauften, mit welchem sie ihre Arbeitsleistung steigern konnten. Das fand natürlich fast im ganzen Dorf reißenden Absatz.
Auch Ezra und ihr Ehemann Tannrim hatten dieses Kraut geliebt. Es sorgte dafür, dass sie sich lebendiger fühlten und voller Kraft ihrer Arbeit nachgehen konnten. Zwar ließen die Händler sich das Kraut gut bezahlen, aber durch die zusätzliche Arbeitskraft, welche das Kraut bescherte, wurde natürlich auch mehr verdient. Es war also für beide Seiten anfangs ein Gewinn. Aber wie es bei Drogen nun mal der Normalfall ist, fühlten sich die Menschen, sobald die Wirkung nachließ, schlechter als zuvor. Sie waren schlapp und müde. Lustlos schleppten sie sich dann wieder zu den Händlern, um ihre Krautreserven aufzustocken und der Kreis ging von Neuem los.
Da es zu der Zeit noch keinen Verwalter im Dorf gab, kümmerte sich auch niemand um die Menschen, die sich langsam aber sicher mit dem Kraut in den Ruin trieben. Und mit der Zeit waren das nicht wenige. Sie holten alles aus dem Fluss, was auch nur im Entferntesten zu Gold zu machen war. Daher war recht schnell nicht mehr viel da, was verkauft werden konnte. Vielleicht schickte Eraciel deswegen das große Hochwasser und überschwemmte das gesamte Dorf. Schließlich nahmen die Menschen ihren Fluss so dermaßen aus, um mit dem Gold an neues Kraut zu kommen, dass selbst eine Gottheit irgendwann sauer werden musste.
Als die Flut kam, konnten die Dorfbewohner gerade so ihr Leben auf den nahe gelegenen Berg retten. Fast alles Hab und Gut ging verloren. So mussten sie sich eine neue Bleibe suchen. Auf dem Berg, auf den sie sich retteten, stand glücklicher Weise ihr Holzfällerlager, welches sie vorläufig in ein zweites Mobenfurt umbauten. Dort hausten sie nun und warteten darauf, dass das Wasser sich zurück zog und sie wieder in ihr altes Dorf konnten.
„Los, das reicht.“, rief der Büttel die Holzfäller zur Gruppe heran. „Jetzt sammelt alles ein und dann gehen wir. Es wird schon dunkel und ich will nur sehr ungern hier sein, wenn es Nacht ist.“, mit einem ängstlichen Blick sah er sich um, während er die Dorfbewohner zusammentrieb. Sie taten, was er sagte, sammelten die Reste ein und marschierten zurück in Richtung des Holzfällerlagers.
Mit einem Ächzen warf Ezra ihr Bündel auf den großen Haufen. „Bei Belan, was bin ich froh, dass wir für heute fertig sind.“, flüsterte sie ihrem Nebenmann zu. Dieser nickte leicht zur Zustimmung, blickte dabei aber furchtsam in Richtung des Büttels und seiner Männer – der Stadtwache.
„So, was haben wir denn noch Schönes zu tun für Euch? Nicht, dass Ihr Euch langweilt, nicht wahr?“, fragte der Büttel mit einem höhnischen Grinsen im Gesicht. Ein kollektives Stöhnen ging durch die Gruppe. Da kam der Koch mit seiner Frage, ob er noch jemanden für die Küche abgestellt bekam, gerade richtig. Ezra meldete sich sofort und verschwand eiligst aus dem Einflussgebiet des Stadtbüttels.
„Ah, Ezra, in Ordnung. Hier hast Du drei Sack Kartoffeln. Die müssen geschält werden. Hol Dir zur Not noch jemanden dazu, wenn Du es nicht schaffst. Wir erwarten Gäste heute Abend und die müssen versorgt werden.“, erklärte der Koch ihr ihre Aufgabe. Etwas entsetzt sah sie die riesen Säcke an. Sie waren so groß, dass sie ihr bis zur Hüfte ragten! Ezra beschloss dann aber, dass es wohl besser wäre, Stunden im Sitzen am Feuer mit dem Schälen von Kartoffeln zu verbringen, als das mitgebrachte Holz zu stapeln. Ihr Rücken würde es ihr danken. Wenn sie ihren Ehemann Tannrim irgendwo sehen sollte, beschloss sie, würde sie ihn mit einspannen. Sie nahm sich also den ersten der Säcke und zerrte ihn nach draußen zur Feuerstelle. Dann ging sie wieder zur Küche, besorgte sich einen großen Topf sowie zwei Messer und ging damit wieder zurück zu zur Feuerstelle und ihrem Kartoffelsack.
Dort war inzwischen schon jemand anders zu Gange. Kurz hatte Ezra Angst, ihre bequeme Aufgabe an jemand anderen verloren zu haben, da erkannte sie, dass es Tannrim war, der sich dort zu schaffen machte. „Ah, Du machst Feuer?“, fragte sie ihn, während sie es sich auf einer der Bänke, die rings um die Feuerstelle standen, gemütlich machte. Tannrim war wohl gerade fertig geworden mit dem Hacken der größeren Holzblöcke, die noch vom Vortag übrig waren. „Hm.“, brummte er zur Zustimmung, während er versuchte ein Feuer zu entfachen. „Der Koch sagt, heute würden viele hungrige Mäuler zu stopfen sein und dafür braucht er zig tausend Kartoffeln. Ich hab Dir ein Messer geholt, wenn Du willst, kannst Du mitmachen, dann sind wir für ein paar Stündchen den Büttel los.“, schlug sie ihm vor. „Oh, sehr gute Idee. Ich mach mit“, freute er sich.
So saßen sie eine Weile schweigend am Feuer und schälten Kartoffeln. Als sie mit der Hälfte des dritten Sacks fast fertig waren, hörten sie einigen Tumult am Eingang des Lagers. Interessiert schauten sie danach und bemerkten eine große Ansammlung an Menschen. „Was das wohl für Gäste sind, die wir da bekommen?“, sprach Ezra ihre Gedanken aus. „Mh. Sehen nach Abenteurern aus.“, antwortete Tannrim ihr. Da hörten sie auch schon den Bräuer, den Dorfverwalter, wie er den Grüppchen hektisch zeigte, wo sie ihre Zelte aufschlagen könnten. Natürlich hatte er vorher seine üblichen Gebühren genommen. Wie er für alles Gebühren haben wollte. Und den Blicken der Reisenden nach zu urteilen, war seine Gebühr nicht wenig. Auch das war üblich.
„Na? Wie sieht’s mit den Kartoffeln aus?“, der Koch kam gerade auf sie zu und blickt mit zufriedenem Gesichtsausdruck in den großen Topf, der fast bis zum Rand gefüllt war. „Ha, sehr schön. Bringt die Kartoffeln rüber in die Küche wenn Ihr fertig seid.“, wies er sie an und verschwand wieder. Ezra schälte weiter an der Kartoffel in ihrer Hand, während sie gebannt die Abenteurer beobachtete. Was das wohl für Menschen sind?, fragte sie sich. Was für Abenteuer sie schon bestehen mussten und was sie schon alles gesehen haben müssen! Hach, so ein Leben wäre was., träumte sie vor sich hin.
Zu zweit schleppten sie den schweren Topf mit den Kartoffeln in die Küche und halfen dem Koch noch bei ein paar Kleinigkeiten. Als das Abendessen endlich so weit war und sie sich in das behelfsmäßig aufgestellte Tavernenzelt begaben, waren kaum noch Plätze frei. So voll war es selten in Mobenfurt. Die Dorfbewohner saßen recht gedrängt beieinander, ansonsten war die Taverne mit Abenteurern gefüllt. Und auch fahrendes Volk war anwesend: eine ganze Gruppe Zigeuner war gerade dabei Stimmung im Tavernenzelt zu verbreiten. Wie Ezra es mitbekam, hatte wohl die Donja, das Oberhaupt der Familie, Geburtstag und das sollte auch jeder mitbekommen. Bei Musik und Tanz ließen Tannrim und Ezra sich ihren Eintopf schmecken und genossen bis spät in die Nacht hinein die ausgelassene Stimmung im Raum.