13 Tage nach dem 1. Vollmond 78 n.d.g.B.

sw - Åsländer

Ezra wurde durch den Gesang der ersten Vögel des Tages geweckt. Sie schlug die Augen auf und sah eine Zeltplane über sich. Wo bin ich?, fragte sie sich stirnrunzelnd. Da bemerkte sie den warmen Arm, der um ihre Taille geschlungen war. Sie blickte zu dem Mann, dem dieser Arm gehörte und erinnerte sich: Sie hatte die Nacht mit Ruuk, einem der Åsländer, verbracht. In dieser Nacht wollten sie beide herausfinden, ob eine gemeinsame Ehe für sie in Frage käme oder nicht. Und was für eine Nacht das gewesen war! Viel zum Schlafen waren sie nicht gekommen. Ezra schmunzelte, Doch, ich denke, dass klappt mit uns. 
Sie kuschelte sich an den noch schlafenden Ruuk heran und träumte noch ein wenig von ihrem zukünftigen Leben. Wie es wohl sein würde, als Frau eines herumreisenden Åsländers? Sie musste sicherlich noch Einiges lernen, um in der Gruppe gut aufgenommen zu werden, aber sie musste sich auch keine Gedanken mehr um Geld machen, schließlich sorgten die Åsländer für sich untereinander. Nur mit einer Hochzeit würde sie bestimmt nicht gleich zu einer von ihnen werden. Und apropos, wie lief so eine åsländische Hochzeit eigentlich ab? Das sollte sie vielleicht gleich mal als Erstes in Erfahrung bringen. Der Captain hatte doch gestern von riesigen Tieren namens Teddai aus ihrer Heimat gesprochen. Nicht, dass so einer bei der Hochzeit eine Rolle spielt!?, kam ihr der entsetzte Gedanke.

„Mh…“, wurde sie von Ruuk’s Stimme aus ihren Gedanken gerissen. „Frühstück oder noch eine Runde?“, grinste er sie an. Doch die Frage erübrigte sich, als sie das Geklapper von Rüstung und Schüsseln vor dem Zelt hörten. „Dann wohl leider gleich Frühstück.“, antwortete er sich selbst mit einem enttäuschten Gesichtsausdruck. „Der Captain ist, was die Pünktlichkeit seiner Männer angeht, etwas streng.“, erklärte er, „Und zu sehen, wie er mich nackt aus dem Nachtlager zerrt, will ich Dir dann doch ersparen.“ Er zwinkerte ihr zu. Ezra musste kichern und suchte sich lieber schnell ihre Sachen zusammen. Den Captain wollte sie nun wirklich nicht gleich zu Anfang gegen sich wissen.

Zum Frühstück war die Taverne wieder bestens gefüllt, jedoch war es nicht so laut wie am Abend vorher. Gefräßiges Schweigen herrschte überall. Wie immer saßen die Åsländer nicht in der Taverne zum Essen, sondern draußen am Feuer. Auch wenn dieses noch nicht brannte. Hier war es ebenfalls ruhiger als gestern Abend. Ezra besah sich die Åsländer noch einmal genauer. Bisher hatte sie die komplette Gruppe nur im Schein des Feuers gesehen, doch nun hatte sie die Gelegenheit, sie auch einmal bei Tageslicht genauer zu betrachten. Wobei, komplett waren sie ja heute auch nicht. Jöcka hatte am Abend erzählt, dass seine Schwester und auch seine Kender-Frau Cari mit seiner Tochter noch auf dem Schiff wären. Wie viele Åsländer wohl insgesamt auf dem Schiff lebten?
Zumindest die Åsländer, welche Ezra hier sah, unterschieden sich ziemlich in ihrer Kleidung. Gut, der Captain und Jöcka hatten beide viel Fell übergeworfen, jedoch war es beim Captain wesentlich mehr Fell. Vielleicht, weil sie zu unterschiedlichen Clans gehörten, vielleicht aber auch, weil er der Anführer der Gruppe war?
Dann saßen da noch zwei Åsländer – vom Fenrir-Clan, hatte Ezra inzwischen herausbekommen. Es war ein Pärchen und ihre Kleidung sah sich wesentlich ähnlicher, war aber wiederum ganz anders, als die des Captains oder Jöcka. Beide trugen recht bunte Tuniken in weiß, blau und braun gehalten, jeweils eine Zipfelmütze mit Pelz auf dem Kopf und zwei große weiß-blaue Rundschilde lagen hinter ihnen. Dann waren die Menschen innerhalb der Clans vielleicht recht ähnlich gekleidet?
Ezra sah sich weiter in der Gruppe um. Da war noch der Übersetzer des Captains. Von seiner Kleidung sah sie nicht viel, da er vollständig in einen grauen Umhang gehüllt war. Sie konnte nur sein Gesicht sehen, aber dieses war dafür um so interessanter: Es war halbseitig blau gefärbt. Was hat Jöcka gestern am Feuer gesagt? Er wäre mit dem Eis verheiratet?, erinnerte sich Ezra, Vielleicht hat er das nicht nur sprichwörtlich gemeint!?
Schlussendlich schaute sie sich Ruuk etwas genauer an. Seine Kleidung war ebenfalls völlig anders, als die der Anderen. Sie war nicht so bunt, wie die des Fenrir-Pärchens, aber er trug auch keine großen Felle, wie die anderen Beiden. Und, fiel ihr auf, er hat immer Pfeil und Bogen dabei. Die anderen Åsländer waren meistens mit Äxten bewaffnet.

„Na?“, fragte er belustigt, als er merkte, dass sie ihn konzentriert musterte. „Na, Verlobter?“, grinste sie zurück. „Ach? Na dann ist ja alles geklärt.“, freute er sich.
„Wie war sie denn nun eigentlich heute Nacht, Ruuk? Erzähl mal!“, Jöcka sah sie verschmitzt an. Als sich ein breites Grinsen auf Ruuk’s Gesicht abzeichnete und er Luft holte, um mit seiner Geschichte los zu legen, unterbrach Jöcka ihn auch gleich wieder: „Ach, eigentlich interessiert mich Deine Variante eh nicht. Ezra, erzähl Du doch mal: Wie war er denn nun?“ Mit einem spitzbübischen Feixen schaute er Ezra an und wartete auf eine Antwort. Auch alle Anderen um die Feuerstelle schienen nun höchst interessiert und warteten. Ezra wurde rot. „Na ja, so viele Vergleichsmöglichkeiten hab ich ja nicht.“, gab sie zu. „Aber ich würde ihn behalten.“, schloss sie ihre knappe Schilderung mit einem Schmunzeln in Richtung Ruuk’s. Jöcka lachte vollen Herzens und widmete sich anschließend mit einem Grinsen kopfschüttelnd wieder seinem Frühstück.

Da sich alle wieder ihrem Essen zu wandten, sah Ezra ihre Chance für ein für sie sehr wichtiges Gespräch mit Ruuk. „Du, sag mal, wie läuft denn eigentlich so eine åsländische Hochzeit ab?“, versuchte sie ihn, so unauffällig wie möglich, zu fragen. Ruuk überlegte kurz, ehe er antwortete: „Wir fangen und schlachten ein ein großes Tier, trinken sein Blut, feiern, saufen, haben alle Spaß bis spät in die Nacht.“ Er schmunzelte: „Und dann haben wir Zwei noch einigen Spaß bis zum nächsten Morgen.“
„Also eigentlich fast alles, was wir gestern und heute schon gemacht haben!?“, stellte Ezra keck fest. Ruuk stockte kurz. „Ha, na fast hättest Du mich jetzt gehabt! Aber um das tote Tier und das Blut kommst Du nicht drumherum.“, scherzte er.

Auf einmal trat ein Mann an die Gruppe heran. „Drinnen sitzt einer, der sagt Ihr würdet Brandschatzen, Frauen schänden, Rauben und Morden.“, sprach er. Die Åsländer schauten sich belustigt gegenseitig an. „Fühlst Du Dich geschändet?“, grinste Ruuk Ezra an. „Nein, eigentlich nicht.“, antwortete sie ihm kichernd. „Dann zeig mir mal den, der sowas behauptet.“, sagte Ruuk zu dem Mann, während er aufstand. Er beugte sich noch einmal zu Ezra hinab und flüsterte ihr zu: „Kann sein, dass es gleich einen Kampf gibt. Es kann auch sein, dass wir verlieren, ich weiß nicht, wie viele da drin sind. Wenn ich im Kampf falle, denkst Du dann ab und zu an mich?“ Schneller, als Ezra es unterdrücken konnte, kam ihr seit langem antrainierter Drang, Profit zu machen zum Vorschein: „Bin ich dann jetzt schon sowas wie’ne Witwe und bekomme, was Du hinterlässt?“ Kaum ausgesprochen, tat es ihr Leid. Aber als sie sein Grinsen sah, wusste sie, dass er es ihr nicht krumm nahm. „Nein, noch gehört mein Besitz meiner Familie.“ schmunzelte er. Sie musste lächeln, in einem sanfteren Tonfall gab sie zurück: „Klar, denk ich an Dich, aber verlier‘ einfach nicht, schließlich will ich noch’ne große Hochzeit mit lebendem Ehemann haben.“ Er versuchte sich sein Grinsen zu verkneifen und verschwand mit dem anderen Mann in der Taverne.

Passend zum Thema Hochzeit tauchte Tannrim nun neben ihr auf. Oh, stimmt! Ich hab ja noch einen Ehemann! fiel es Ezra da wie Schuppen von den Augen. „Und?“, fragte Tannrim recht kurz angebunden. „Also von mir aus können wir’s durchziehen.“, antwortete Ezra ihm, „Ich glaube, er will auch.“ Etwas leiser fügte sie hinzu: „Aber angenommen, die Åsländer kämpfen wirklich gleich und er fällt im Kampf, nimmst Du mich dann zurück?“ Tannrim mustere sie kurz mit einem undefinierbaren Ausdruck. Sie wusste nicht so recht, ob es ihm etwas ausgemacht hatte, dass sie die Nacht mit einem Anderen verbracht hatte, oder ob er nur überlegte, wie er dann anderweitig an das Geld für die Akademie gelangen sollte. „Ja, keine Sorge.“, antwortete er ihr schließlich. Etwas erleichtert ging sie mit ihm in Richtung der Taverne.

Die Åsländer bereiteten sich in der Zeit auf den Kampf vor. Kettenhemden wurden angelegt, Helme aufgesetzt und Schilde kontrolliert. Sie stellten sich in einer breiten Reihe vor der Tür der Taverne auf und warteten darauf, dass Ruuk mit dem Schwätzer heraus kam. Ezra und Tannrim setzten sich auf eine der Bänke vor der Taverne und warteten ebenfalls.
Ruuk kam nach einer Weile allein aus der Taverne und erstattete seinem Captain Bericht: „So ein komischer kleiner Kerl mit lockigen Haaren und kariertem Rock hat zugegeben, dass er alles gesagt hat, was uns zugetragen wurde. Jedoch sieht er nicht danach aus, als ob er einen Kampf mit uns wollen würde, geschweige denn, dass er gewinnen könnte.“ Der Captain nickte und Ruuk stellte sich mit gespanntem Bogen in die Reihe der Åsländer.
Nach einer gefühlten Ewigkeit trat der Mann mit dem Rock aus der Taverne. Als er die Åsländer in Kampfreihe vor sich stehen sah, wirkte er überrascht. „Das ist er.“, sagte Ruuk zum Captain. Dieser trat vor den Mann und fragte ihn etwas auf åsländisch. Der Åsländer im Umhang übersetzte: „Der Captain will wissen wie Du heißt.“  Die Antwort klang recht eingebildet und als ob es eine Frechheit wäre, nicht zu wissen, wer er ist: „Jack O’Bourne ist mein Name.“ Der Captain sprach weiter. „Es heißt, Du hättest Unwahrheiten über uns gesagt. Stimmt das?“, übersetzte der Andere für ihn. Ezra strenge sich an, den kleinen, rocktragenden Mann zu verstehen. O’Bourne antwortete ihm in einem überheblichen Ton: „Ja, ich habe gesagt, Ihr würdet Dörfer überfallen, Frauen schänden und niederbrennen, was Euch im Weg steht.“  – „Sag ihm, was Du mir vorhin in der Taverne gesagt hast!“, mischte sich Ruuk daraufhin ein, „Los! Nur raus damit!“
O’Bourne sah ihn kurz an, dann sprach er wieder: „Außerdem ich habe gesagt, dass Ihr nichts weiter als gaunernde Piraten seid.“ Er machte eine kurze Pause und sah den Captain arrogant an. „Und? Wollt Ihr mich nun gemeinsam niederstrecken und beweisen, dass Ihr doch nur Barbaren seid?“ Der Captain antwortete ihm, der Übersetzer tat sein Übriges:  „Dass wir bei Gelegenheit Rauben und Plündern, steht außer Frage. Für alles Andere hätte der Captain gern Beweise, wenn Du es denn weiterhin behaupten willst.“ Der Captain starrte ihn schweigend an. O’Bourne knirschte mit den Zähnen. „Da ich keine Beweise habe, ist es wohl nicht wahr, was ich über Euch gehört habe.“, gab er mit verärgertem Ton zu. Mit unveränderter Miene starrte der Captain in weiter an. Dann spuckte er ihm vor die Füße, wandte sich ab und setzte sich wieder an die Feuerstelle. Er hatte ihm gezeigt, was er von ihm hielt und damit war die Sache für ihn erledigt. O’Bourne sah etwas ungläubig drein, zuckte dann jedoch mit den Schultern und zog sich zurück.
„Uhi, da hat aber jemand einen diplomatischen Tag heute. Ich hätte gewettet, dass er ihm den Schädel einschlägt!“, sprach einer der Zuschauer rechts von Ezra die Gedanken aller aus. Es hatte sich inzwischen eine ganze Gruppe von Schaulustigen vor der Tür der Taverne eingefunden und dem Spektakel zugesehen. „Na, wenn er dem jetzt was getan hätte, hätte er doch nur bewiesen, dass sie wirklich grausame Mörder sind.“, ergänzte ein anderer. Ezra konnte es ebenso nicht wirklich glauben. Auch sie hatte erwartet, dass der Captain sich so etwas nicht gefallen lassen würde. Diese Åsländer überraschen einen doch immer wieder., stellte sie noch immer verblüfft fest.
„Was war denn hier los?“, Lilly, eine junge Frau auf der Durchreise, mit welcher Ezra drei Abend zuvor Bekanntschaft geschlossen hatte, kam aus der Taverne und sah sich verwundert um. Ezra erklärte ihr kurz, was passiert war und während die beiden Frauen zu anderen Themen abgleiteten, bemerkte Ezra, dass Tannrim mit Ruuk sprach. Die werden doch wohl nicht ohne mich über mich handeln!?, schoss es ihr da durch den Kopf. „Lilly, entschuldige mich, wir reden später noch mal, ja?“, rief sie ihr über die Schulter hinweg noch zu, ehe sie sich auf zu ihrem Noch-Ehemann und ihren zukünftigen Ehemann machte.

Als sie näher kam, hörte sie, dass der Ton der Beiden nicht sehr geschäftsmäßig war. „Wie? Du willst jetzt doch nicht?“, fragte Tannrim Ruuk gerade, als sie bei den Beiden ankam. Verwirrt blieb sie stehen. „Ich will sie halt nicht mehr.“, antwortete Ruuk ihm. „Das ist ein Scherz, oder?“, fragte sie ihn sichtbar geschockt. Ruuk wandte sich zu ihr um und sah sie teilnahmslos an: „Nein. Es ist mein Ernst. Ich will Dich nicht heiraten.“ Ezra war völlig entsetzt. Heute morgen hat er mich doch noch als seine zukünftige Ehefrau vorgestellt. Er hat doch sogar noch vor seiner ganzen Truppe erzählt, dass er mich heiraten würde! Gestern Abend hatte ich ja noch meine Zweifel, aber heute früh hat er doch wirklich noch davon gesprochen! Ich dachte, er meint es wirklich ernst!, überschlugen sich ihre Gedanken. Ihre ganze Fassungslosigkeit und ihr Zorn gipfelten in einem kurzen Wutausbruch, in welchem sie Ruuk eine Ohrfeige verpasste. Sie machte auf dem Absatz kehrt und stürmte davon.

Sie hörte noch, wie Tannrim Ruuk aufforderte, ihm das Geld zu geben, welches sie vereinbart hatten. „Wir sagten, wir verhandeln nach der Nacht, ob ich sie Dir abkaufe. Ich will sie nicht mehr haben, also bekommst Du auch kein Geld.“, antwortete dieser ihm. Tannrim gab jedoch nicht so leicht auf: „Dann fordere ich Dich zum Zweikampf auf. Wenn Du eine Nacht mit meiner Frau hattest, will ich auch die vereinbarten zwei Silber und acht Kupfer dafür haben!“„Einen Kampf? Kannst Du haben.“, antwortete Ruuk ihm mit einem selbstgefälligen Lächeln.

Mit Entsetzen beobachtete Ezra, wie die beiden Männer auf die freie Wiese vor der Taverne traten und bedrohlich umeinander schlichen. Die Åsländer begannen augenblicklich Ruuk anzufeuern und die Rufe führten dazu, dass nur noch mehr Schaulustige dazukamen, um den Kampf zu beobachten. Ein großgewachsener Mann mit schwarzen langen Haaren und einer blauen Robe – wahrscheinlich ein Eracielmagier – stellte sich direkt neben Ezra. „Sieht so aus, als ob Euer Noch-Ehemann und euer Fast-Ehemann sich nicht sehr mögen würden.“, stellte er fest. „Wenn sie sich gegenseitig die Schädel einschlagen, hätte ich wieder Bedarf an einem Ehemann, wie sieht’s mit Euch aus?“, scherzte sie trocken. Der Magier musterte sie interessiert und legte ihr mit einem: „Och, warum eigentlich nicht?“, lachend den Arm um die Schulter. Sie sah ihn kurz skeptisch an, da lies er ihn gleich mit einem peinlich berührten Lächeln wieder sinken.
Die beiden Männer kreisten immer noch umeinander. Ruuk machte den ersten Schlag, doch Tannrim wich aus. Nun waren sie nah beieinander und schlugen kurz aufeinander ein, bis Ruuk Tannrim auf den Boden warf. Sie wälzten sich auf der kalten Erde hin und her, mal sah es kurz so aus, als ob der Eine gewinnen würde, dann wieder der Andere. Wow, ich hätte nicht gedacht, dass Tannrim sich so gut verteidigen kann., dachte Ezra anerkennend.
Der Captain stand links von ihr und feuerte seinen Mann weiterhin an. Mit einmal zog er ein Messer und warf es den beiden Kontrahenten zu. „Das ist unfair!“, protestierte Ezra. Aber das schien niemand mitzubekommen. Die beiden Männer sahen zu dem Messer, welches näher bei Tannrim lag. Im Eifer des Gefechts griff er danach. „Hey, keiner hat was von Waffen gesagt!“, schnauzte Ruuk ihn sogleich wütend an. Das Messer hat doch Dein Captain geworfen, auf ihn solltest Du wütend sein!, dachte sich Ezra grimmig. Tannrim sah zu dem Messer in seiner Hand und schien erstaunt, dass er überhaupt eine Waffe in der Hand hielt. Ruuk bekam ein zweites Messer zugeworfen – in dem Moment, in dem Tannrim sein Messer wegwarf.  Ruuk jedoch behielt sein Messer, ging damit nun wiederum auf seinen Kontrahenten los. Tannrim wehrte den Messerstich ab und wieder lagen sie am Boden. Tannrim lag nun unter Ruuk und versuchte verzweifelt, ihn zu entwaffnen. Jedoch gelang es ihm nicht. Noch einmal wälzten sie sich hin und her, bis Ruuk mit der Klinge an Tannrim’s Hals über ihm drohte und dieser nur noch wimmerte.
Ezra schlug das Herz bis zum Hals. Er wird doch nicht…?, dachte sie voller Angst. Sie kannte Tannrim schon seit Kindertagen. Er war zwar kein perfekter Ehemann, aber dennoch inzwischen so etwas wie ein guter Freund für sie. Auf Tannrims Betteln eingehend lies Ruuk von ihm ab und sah mit finsterem Blick zu, wie er sich aufrappelte. Als Tannrim ihm mit den Worten: „Okay, Du hast gewonnen und damit Recht, vergessen wir das Ganze.“, vorsichtig die Hand zur Versöhnung ausstreckte, flüsterte Ruuk ihm mit finsterer Miene noch etwas zu, bevor er einschlug.
Ein wenig unbeholfen humpelte Tannrim auf eine der Bänke vor der Taverne zu. Ezra eilte zu ihm und stützte ihn, soweit es ihr möglich war. „Er hat gesagt, wenn ich das noch mal versuche, bringt er mich um.“, seufzte er. „Das wird hoffentlich nicht wieder vorkommen. Ist sonst alles in Ordnung mit Dir? Kann ich Dir irgendwie helfen?“, fragte sie ihn mitfühlend, während sie ihn nach Wunden absuchte. Er straffte die Schultern und versuchte sich gerade hinzusetzen. „Nein, nein. Geht schon. Nur ein paar blaue Flecken.“, antwortete er ihr. Beruhigt setzte sie sich neben ihn und strich sanft über einige Schrammen an seinen Armen. „Das mit dem Messer war aber auch unfair.“, meinte sie mit Blick auf die schon wieder lachenden Åsländer. „Mh.“, brummte Tannrim nur zur Zustimmung.

 

Als sich die Lage wieder einigermaßen beruhigt hatte, bemerkte Ezra eine Prozession von Menschen, welche in Richtung des Waldes zog. Sie trugen eine Urne bei sich. „Kommt Ihr mit?“, fragte eine Frau, welche neben ihnen saß. „Um was geht es denn?“, fragte Ezra sie. „Die Asche von Thures wird beigesetzt.“, antwortete sie ihr.
Thures?, erinnerte sich Ezra, Das war doch das Katzenwesen, welches beim Kampf in Mobenfurt gefallen war. Sie erinnerte sich an die große Verbrennung, welche die Kämpfer nach der Schlacht für ihn durchführten. Er musste sehr vielen Menschen viel bedeutet haben. Da sie bei seiner Verbrennung schon dabei waren, beschlossen sie, zur Beisetzung seiner Asche ebenfalls mit zu gehen. Sie schlossen sich also dem Tross an, reihten sich aber eher am Ende ein. Neben Ezra lief einer der Åsländer, es war der Fenrir.
„Kanntest Du ihn?“, fragte er sie unvermittelt. „Äh, nein.“, antwortete sie ihm ehrlich, „Ich war nur dabei, als sie ihn in Mobenfurt verbrannten. Daher dachte ich, ihm die letzte Ehre zu erweisen, würde sich gehören.“„Ich war zwar bei der Verbrennung nicht dabei, aber ich habe viele Geschichten über ihn gehört. Also will ich ihm ebenfalls die letzte Ehre erweisen.“, erzählte er ihr. Schweigend gingen sie weiter.
Als sie an einem Felsvorsprung ankamen, versammelten sich die engsten Freunde der Katze im Kreis darum und die Beisetzung begann. Ezra stand etwas entfernt davon und verstand daher nicht viel der Worte die gesprochen wurden. Anschließend marschierte die ganze Gruppe zurück zur Taverne.

Ezra nahm auf einer der Bänke an der Feuerstelle platz und starrte in die kalte Asche vom Vorabend. Sie bemerkte nicht, wie sich jemand neben sie setzte. „Noch sauer auf mich?“, fragte dieser Jemand sie mit einem Lächeln in der Stimme. Sie blickte auf und sah, dass es Ruuk war. Natürlich kannten sie sich kaum und es war vielleicht albern gewesen, zu denken, dass er sie nach nur einer Nacht heiraten würde. Aber sie hatte darauf gehofft. Sie seufzte. „Nein.“, gab sie kleinlaut zu. „Na, komm. Tu nicht so, als ob Dir die Nacht nicht auch gefallen hätte.“, stachelte er. Als Ezra daran dachte, musste sie lächeln. „Ich finde trotzdem, dass Du Dich unehrenhaft verhältst. Du hast mir heute morgen noch versprochen, mich zu heiraten und nun?“, hielt sie ihm halb gespielt und halb im Ernst vor. „Hey, ich hab nie versprochen Dich zu heiraten! Natürlich habe ich Ehre und ein Versprechen würde ich nie brechen.“, entgegnete er gekränkt, „Ich hab‘ lediglich gesagt, wir verbringen eine Nacht miteinander und schauen dann morgens wie es aussieht.“ Ezra lies sich seine Worte vom vorigen Abend noch einmal durch den Kopf gehen. „Hast‘ ja Recht.“, gab sie seufzend zu, „Aber ich hatte mir schon so ein herrlicheres Leben vorgestellt.“ Sie seufzte noch einmal. „Besonders auf die Hochzeit hab ich mich wirklich schon gefreut!“, neckte sie ihn mit einem Schmunzeln. Ruuk musste lachen. Der Fenrir saß in ihrer Nähe und schaute fragend in ihre Richtung. „Ich habe ihr erzählt, bei einer åsländischen Hochzeit müsste man ein Tier schlachten und dessen Blut trinken. Und jetzt ist sie ganz versessen darauf.“, erklärte er feixend. Der Fenrir grinste und wand sich wieder ab.
„Weißt Du was?“, schlug Ruuk ihr nun vor, „Wenn Dir arg zu langweilig wird und die Sehnsucht nach mir zu groß ist, kannst Du uns einen Brief hinterher schicken. Und ich verspreche Dir, spätestens zwei Tage später bin ich für Dich da. Na? Wie klingt das?“, belustigt schaute er sie an. „Meinst Du das jetzt so ernst, wie Du sagtest, Du würdest mich heiraten?“, fragte sie skeptisch. Etwas ernsthafter versicherte er ihr: „Nein, diesmal mein‘ ich es wirklich so.“
Was für ein Weiberheld!, Ezra musste sich das Lachen verkneifen. Wahrscheinlich war es für sie doch besser, bei Tannrim zu bleiben. Auf ihn konnte sie sich wenigstens verlassen, wenn es Ernst wurde. Das hatte sie heute erst wirklich bemerkt. Vielleicht sollte ich künftig etwas freundlicher zu ihm sein., überlegte sie sich. Er kann schließlich auch nichts dafür, dass wir verheiratet wurden. Also sollte ich wohl für uns beide das Beste daraus machen., beschloss sie.